Drogen Medizin sieht Cannabis-Freigabe kritisch
Über 40 Jahre lang waren Anbau und Verkauf von Cannabis in Deutschland weitgehend verboten. Ein geplantes Gesetz will dies Erwachsenen bald mit Regeln erlauben. Aus der Medizin kommen Zweifel.
Berlin - Rauch einen Joint und der Tag ist dein Freund? Der Gesundheitsausschuss im Bundestag soll sich an diesem Mittwoch abschließend mit dem geplanten Cannabis-Gesetz befassen. Erwartet wird, dass dann noch in dieser Woche der Bundestag darüber abstimmt. Nach Plänen der Ampel-Koalition sollen Anbau und Besitz ab April für Erwachsene in festgelegten Grenzen erlaubt sein - und so mancher Kiffertraum in Deutschland könnte wahr werden.
Die Idee bleibt dennoch umstritten. Dabei geht es weniger um das Ziel, Dealern das Handwerk zu legen. Das wollen fast alle. Doch aus der Medizin kommen Bedenken, ob jungen Menschen das Risiko von Cannabis ausreichend bewusst ist. Denn bis zum Alter von 25 Jahren reift das Gehirn. Wer diesen Prozess durch heftiges Kiffen stört, kann sich lebenslange Folgen einhandeln - Stichwort Psychose.
„Ich befürchte, dass wir mit dem geplanten Gesetz den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, sagt Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. Die Neurologin und Psychiaterin ist die künftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN). Das Alter sei der entscheidende Punkt bei dieser Diskussion. Das werde zu wenig gesehen.
Riskanter Konsum hat viele Faktoren
Cannabis ist eine psychoaktive Substanz aus der Hanfpflanze, die abhängig machen kann - ob nun als Joint, Haschkeks oder anders verpackt. „Riskanter Konsum lässt sich nicht pauschal festmachen“, sagt Stephanie Eckhardt, Referatsleiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) des Referats für Suchtprävention. Es gebe Faktoren, die zusammenspielten: Wie oft wird Cannabis genutzt? Wie viel davon? Und wie hoch ist dabei der THC-Gehalt, also die Konzentration des Rauschmittels Tetrahydrocannabinol?
Der Cannabis-Konsum sei in Deutschland vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren gestiegen, berichtet Eckhardt. Nach jüngsten Angaben der BZgA hatte 2021 die Hälfte von ihnen bereits Cannabis-Konsumerfahrung - das sei der höchste von ihr erhobene Wert seit 1973. Für den Anstieg gibt es nur Vermutungen: die Verfügbarkeit, das soziale Umfeld, gesellschaftliche Trends und auch der Preis auf dem Schwarzmarkt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit haben im Jahr 2022 rund 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland wenigstens einmal Cannabis genutzt - am häufigsten im Alter zwischen 18 bis 24 Jahren.
Manipulation im Gehirn
Bis zur Volljährigkeit soll Cannabis nach dem geplanten Gesetz verboten bleiben. Zudem gibt es mit Blick auf das Alter ein Stufenmodell: In Cannabis-Clubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen - pro Monat höchstens 50 Gramm pro Mitglied. Bei 18- bis 21-Jährigen dürfen es nur bis zu 30 Gramm im Monat sein mit einem maximalen Gehalt von zehn Prozent der psychoaktiven Substanz THC. „Das ist kein unproblematischer Freizeitkonsum mehr“, urteilt Gouzoulis-Mayfrank, Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik in Köln. 50 Gramm im Monat reichten für mehrere Joints am Tag. Auch 30 Gramm seien für junge Volljährige zu viel. „Die geplante Legalisierung ist ein Feldversuch in der Gesellschaft“, sagt die Ärztin für die DGPPN. „Aus unserer Sicht sollten wir im Moment nicht ganz so waghalsig voranschreiten.“
Forschende denken dabei an das körpereigene System für Cannabinoid-Moleküle: Im Gehirn gibt es von Natur aus Strukturen und Andockstellen für diese Substanzen. Sie regeln unter anderem Appetit, Emotionen und Schmerzempfindung mit. Dieses komplexe System reift beim Menschen langsam bis zum Alter von Mitte 20 heran. Kommt Cannabis von außen hinzu, kann dieser Prozess gestört werden. Mediziner gehen davon aus, dass häufiges Kiffen bei Heranwachsenden die Cannabinoid-Strukturen im Gehirn verschiebt und verändert - und diese Manipulation Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann.
Erhöhtes Risiko für Psychosen
Dafür gebe es Hinweise aus verschiedenen Forschungssträngen, erläutert Gouzoulis-Mayfrank. Wer früh und viel kiffe, habe ein deutlich erhöhtes Risiko für Psychosen - auch noch viele Jahre später. Eine weitere Folge davon könne eine größere Anfälligkeit für Abhängigkeitserkrankungen aller Art sein. Die Risiken sind auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bewusst. Cannabis schade besonders dem noch wachsenden Gehirn, sagt auch er. Niemand dürfe das Gesetz missverstehen, hatte er bereits im August betont. „Cannabiskonsum wird legalisiert. Gefährlich bleibt er trotzdem.“ Doch ist diese Botschaft angekommen?
Expertin vermisst klares Signal an Volljährige
„In den vergangenen Jahren gibt es eine zunehmende Offenheit, über Cannabis zu sprechen, auch über die mit dem Konsum verbundenen Risiken“, sagt Eckhardt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Es soll kein Tabuthema sein.“ Doch auch sie macht Einschränkungen. „Es gibt Chancen und Risiken.“ Die Botschaft der BZgA an junge Menschen laute deshalb: Lasst das Kiffen bleiben.
Psychiaterin Gouzoulis-Mayfrank rechnet in Deutschland mit Kollateralschäden, falls die Legalisierung so kommt wie geplant. „Ich befürchte, dass es nicht gelingen wird, die Gefahren von Cannabis glaubhaft rüberzubringen.“ Darum spricht sich ihr Fachverband für eine Freigabe erst ab 21 Jahren aus. „Damit würde man auch ein klares Signal an junge Volljährige senden, dass Kiffen für sie problematisch ist.“ Durch unterschiedliche Regeln und Kontrollen können die Effekte der Legalisierung von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Erfahrungen aus dem Ausland sind deshalb nicht immer auf Deutschland übertragbar. Neben Alkohol und Nikotin gilt Cannabis nach den Recherchen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen aber weltweit als das beliebteste Rauschmittel.