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Justiz Mehr Widerstandskraft für das Bundesverfassungsgericht?

Das Bundesverfassungsgericht wacht darüber, dass das Grundgesetz eingehalten wird. Wegen des Erstarkens extremer Parteien soll das Gericht jetzt besser geschützt werden.

Von Anne-Béatrice Clasmann, Jörg Blank und Marco Krefting, dpa Aktualisiert: 30.01.2024, 21:49
Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Karlsruhe.
Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Karlsruhe. Uli Deck/dpa

Berlin/Karlsruhe - Das Wort Bundesverfassungsgericht steht 27 Mal im Grundgesetz. So etwa in Artikel 115g: „Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtes und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden.“ Nur: Details etwa zur Anzahl der Richterinnen und Richter, zur nötigen Zweidrittelmehrheit für ihre Wahl, zum Ausschluss der Wiederwahl und dazu, dass sich das Gericht selbst eine Geschäftsordnung gibt, stehen eben nicht im Grundgesetz - sondern in einem separaten Gesetz: dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. Und deshalb wird derzeit über Rechtsänderungen diskutiert.

Denn der Bundestag kann solche Gesetze mit einfacher Mehrheit beschließen beziehungsweise ändern. Für Änderungen des Grundgesetzes hingegen müssen zwei Drittel der Stimmen zusammenkommen.

Wenn also jetzt erwogen wird, die bestehenden Regelungen auch ins Grundgesetz zu schreiben, geht es vor allem darum, sie „änderungsfester“ zu machen, wie der Bielefelder Verfassungsrechtler Christoph Gusy es formuliert. „Das Grundgesetz ist bislang sehr sparsam, was das Bundesverfassungsgericht angeht.“

Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte, das Gericht habe als Hüterin der Verfassung eine ganz besondere Stellung. Er hält Vorkehrungen zum Schutz des Gerichts vor Verfassungsfeinden für sinnvoll. „Es werden bereits Gespräche geführt, wie dies wirksam gelingen kann“, sagte der FDP-Politiker.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir haben in europäischen Nachbarstaaten gesehen, wie autoritäre Kräfte die unabhängige Justiz, die freie Presse und die demokratischen Institutionen angreifen.“ Demokratiefeinde dürften nicht den Einfluss gewinnen, um ihre Pläne in die Tat umsetzen zu können. „Unser Rechtsstaat darf nicht von innen heraus sabotiert werden können.“

Scholz unterstützt verstärkten Schutz für Verfassungsgericht

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich hinter die Idee gestellt, das Bundesverfassungsgericht stärker gegen politische Eingriffe zu schützen. „Ich glaube, es ist eine gute Debatte, die jetzt stattfindet“, sagte der SPD-Politiker bei einer Diskussion in Potsdam. Er fügte hinzu: „Es ist richtig, diese Dinge jetzt zu machen.“

Scholz unterstützte die Erwägungen, sagte aber zugleich, er sei sicher, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger offensichtlich anderer Meinung seien als die extremen Rechten und dass sie solche Bestrebungen verhindern würden. Die demokratischen Bürgerinnen und Bürger sollten sich nicht als die Minderheit empfinden. „Wir sind die meisten“, sagte Scholz.

Widerstandsfähigkeit gegen unwägbare politische Entwicklungen

Unter der Überschrift „Mehr Widerstandskraft“ hatten die ehemaligen Verfassungsrichter Gabriele Britz und Michael Eichberger in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor ein paar Wochen Änderungen gefordert: Dem einfachen Zugriff des Gesetzgebers sollten jene Strukturen des höchsten deutschen Gerichts entzogen werden, die für dessen Funktionsfähigkeit, Unabhängigkeit und zur Verhinderung einseitiger Besetzung wesentlich sind. „Das entspricht seiner Stellung als Verfassungsorgan und stärkt seine Widerstandsfähigkeit gegen unwägbare politische Entwicklungen.“ In den vergangenen Tagen nahm die Debatte Fahrt auf.

In der „Welt am Sonntag“ regten Vertreter von SPD und FDP an, Strukturen des Karlsruher Gerichts im Grundgesetz zu verankern und Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ebenfalls nur mit Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen. Anlass für solche Überlegungen seien Entwicklungen in Ungarn und unter der früheren PiS-Regierung in Polen sowie Verbalangriffe der AfD auf das Bundesverfassungsgericht, sagte der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg der Deutschen Presse-Agentur. „Klar ist, dass wir zu allem einen breiten Schulterschluss der demokratischen Fraktionen suchen.“

Manche Unionspolitiker zeigten sich offen, darüber zu sprechen. So teilte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Günter Krings, der dpa mit, seine Fraktion sei gespannt, ob es seitens der Ampel-Koalition „hier bald konkretere Vorschläge gibt“.

Hingegen drückte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), auf die Bremse: „Ich warne einfach vor wie auch immer gearteten Schnellschüssen.“ Er sehe derzeit keine Gefahr, dass eine politische Kraft im Bundestag und erst recht nicht im Bundesrat mehr als 50 Prozent bekommen könne. Viel größer sei die Gefahr, dass eine Kraft eine Sperrminorität von einem Drittel der Stimmen erhalten könne.

Welchen Einfluss bekommt die AfD?

Bislang werden die 16 Richter und Richterinnen je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Das Verfahren sorgt Frei zufolge dafür, dass ausgleichende Kandidaten gewählt werden, die nicht extreme Minderheitenpositionen verträten.

Der Deutsche Anwaltverein sprach sich dafür aus, für die obersten Gerichte von Bund und Ländern sicherzustellen, „dass radikale Sperrminoritäten die Besetzung der Richterstellen nicht langfristig blockieren können“. Denkbar sei beispielsweise, dass der Bundesrat die Richterstellen besetze, sofern der Bundestag dieser Aufgabe über einen längeren Zeitraum nicht nachkommen könne.

Der Düsseldorfer Rechtsprofessor Johannes Dietlein erklärte, über die verfassungsrechtliche Festschreibung der Grundstruktur des Gerichts mit seinen zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern sollte man sicherlich ernsthaft nachdenken, „auch um der Gefahr eines missbräuchlichen „court packing“ vorzubeugen“. Damit ist gemeint, dass die Politik ein Gericht vergrößert und Richter ernennt, die wahrscheinlich zugunsten der eigenen politischen Vorstellungen entscheiden - wie es etwa am Obersten Gerichtshof der USA passiert.

Konkret geht es hierzulande um die Sorge, angesichts von Umfragewerten von 20 bis 30 Prozent könne die AfD an Einfluss gewinnen. Diskutiert wird auch, ob dann ein dritter Senat mit neuen Richtern und Richterinnen eingerichtet werden könnte, der dann über wichtige - gerade parteipolitisch geprägte - Streitfälle entscheidet.

„Wehret den Anfängen“

Professor Gusy überrascht nicht, dass jetzt über Änderungen gesprochen wird. „Man stellt fest, dass Demokratien anfälliger sind, als wir lange dachten.“ Daher gehe es darum, präventiv tätig zu werden - bevor eine Partei zu groß wird. „Nach dem Motto: Wehret den Anfängen.“

Die Justiz sei das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft, betonte der Deutsche Richterbund. Es gelte deshalb „rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Unabhängigkeit der Gerichte wirksam gegen Angriffe von Extremisten zu schützen“.

Die Debatte über das Bundesverfassungsgericht, das einer aktuellen Umfrage zufolge in der Bevölkerung großes Vertrauen genießt, sei auch für die Länder interessant, sagte Gusy. Er verwies unter anderem auf Bayern, wo der Landtag jüngst trotz Vorbehalten 15 ehrenamtliche Mitglieder des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gewählt hat - darunter AfD-Kandidaten. Hintergrund ist eine Regelung, wonach alle Fraktionen Kandidaten benennen dürfen und im Block abgestimmt wird.