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NATIONALISMUS-GESÄNGE AUF SYLT Nach Sylt-Eklat: Dummer Spaß oder Symptom eines Rechtsrucks?

Nicht nur auf Sylt, auch in Sachsen-Anhalt und anderswo fallen junge Partygänger mit ausländerfeindlichen Gesängen auf. Ist das der Ausdruck eines neuen Rechtsrucks?

Von David Fuhrmann Aktualisiert: 05.06.2024, 19:49
„Pony“-Bar in Kampen: Hier skandierten die feiernden Menschen Nazi-Parolen.
„Pony“-Bar in Kampen: Hier skandierten die feiernden Menschen Nazi-Parolen. Foto: Georg Wendt/dpa

Kampen/MZ. Junge Menschen feiern auf Sylt und grölen dabei ausländerfeindliche Parolen. Der Fall an Pfingsten hat bundesweit Empörung ausgelöst. Dabei hatten schon zuvor Jugendliche zu einem beliebten Partyhit fremdenfeindliche Parolen gesungen. Was Sylt so brisant machte, „ist, dass man diese rassistischen Parolen von diesem wohlhabenden Milieu nicht erwartet hätte“, erklärt Frank Greuel, der am Deutschen Jugendinstitut in Halle unter anderem zu Radikalisierung im Jugendalter forscht: „Rassistische und rechtsextreme Haltungen sind aber grundsätzlich in allen Milieus vorhanden.“

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Menschen in den wohlhabenderen, bildungshöheren Schichten „artikulieren rassistische Äußerungen meist anders, feiner“, sagt Greuel. Ihnen sei normalerweise bekannt, „dass man sozial geächtet ist, wenn man solche Dinge öffentlich sagt, sie halten sich deshalb auch zurück, was aber nicht heißt, dass sie nicht entsprechende Einstellungen hätten“. Deshalb seien die offen zur Schau gestellten rassistischen Entgleisungen von Sylt nun so irritierend. 

Innenministerium sind sieben Fälle in Sachsen-Anhalt bekannt

In dem Video-Schnipsel, aufgenommen an Pfingsten auf der Terrasse der „Pony“-Bar in Kampen, skandieren junge Menschen in weißen Blusen und Polo-Shirts die ausländerfeindlichen Parolen zur Melodie des Disco-Hits „L’ Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino. Sie rufen: „Ausländer raus, Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Im Hintergrund deutet ein Mann mit der rechten Hand den Hitlergruß an, mit der linken den Bart.

In den sozialen Medien machte das Video schnell die Runde, wurde vielfach geteilt und kommentiert. Und ganz Deutschland zeigt sich überrascht. Dabei kursierten Videos wie das von Sylt, in denen ausländerfeindliche Parolen im öffentlichen Raum skandiert werden, in den vergangenen Monaten immer wieder im Netz. Nur waren darauf eben keine wohlhabenden Menschen zu sehen.

Wie ausgeprägt der Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt ist, darüber sprachen Anna Petersen und Stefan B. Westphal auch im Video-Podcast „Wahllokal“ der MZ mit dem Extremismus-Experten Torsten Hahnel.

In Sachsen-Anhalt weiß das Innenministerium von sieben Vorfällen, in denen die rassistischen Parolen zum Party-Hit skandiert wurden. Was ist das für ein Befund, wenn junge Menschen ungeniert und ungestört ausländerfeindliche Gesänge anstimmen können und wollen? Eine Jugend, die dem Rechtsextremismus zunehmend zugewandt ist? „Die Parole spricht für eine gewisse Affinität zum rechtsextremen Gedankengut, für eine gewachsene Salonfähigkeit“, sagt Greuel.

Vor einigen Wochen hat eine Jugendstudie für Diskussionsstoff gesorgt, derzufolge die AfD für Menschen zwischen 14 und 29 Jahren die stärkste Partei sei. Auch für Jugendforscher Greuel ist ein Rechtsruck junger Menschen erkennbar. „Die AfD konnte in den vergangenen Jahren erstaunliche Zuwächse bei jungen Menschen verzeichnen“, sagt Greuel.

Als populistische Partei liefere sie den jungen Menschen, die angesichts aktueller Krisen mit Sorge in die Zukunft blickten, auf komplexe Fragen einfache Antworten. Einerseits. Andererseits sei jenes Modell der einfachen Lösungen besonders kompatibel mit den kurzen Formaten, wie sie in den Sozialen Medien etwa bei TikTok ausgespielt werden. „Das ist ideal für die AfD, um die eigenen Parolen rauszufeuern“, sagt Greuel. 

Verbot vom Lied eine kontraproduktive und vorschnelle Reaktion

Im Umgang mit den Sylter-Party-Grölern plädiert Greuel für eine besonnene Herangehensweise. Das Video und die Vorfälle seien kein pauschaler Beleg für ein geschlossenes, rechtsextremes Weltbild der beteiligten Menschen. „Bei vielen spielt Provokation sicher eine Rolle“, sagt Greuel.

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Ein Verbot des Liedes sei deshalb eine vorschnelle und kontraproduktive Reaktion. „Verbote sind für junge Menschen besonders interessant, weil man mit Verstößen dagegen maximale Aufmerksamkeit erzeugen kann“, sagt Greuel. Wichtig sei, mit den jungen Menschen pädagogisch ins Gespräch zu kommen, um zu verstehen, „welche Motive hinter den problematischen Äußerungen stecken“.

Wie ausgeprägt der Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt ist, welche Verantwortung die Kommunen im Land vor diesem Hintergrund tragen und wie man am besten mit rechtsextremen und populistischen Parolen im Alltag umgeht, darüber sprachen Anna Petersen und Stefan B. Westphal auch im Video-Podcast „Wahllokal“ der MZ mit dem Extremismus-Experten Torsten Hahnel vom Verein Miteinander. Die Podcast-Folge ist ab diesem Mittwoch im Internet, bei allen bekannten Podcast-Anbietern und als Video abrufbar.