Flutkatastrophe Neue Gewittergefahr im Westen - NRW beschließt Soforthilfen
Nach der Flutkatastrophe gehen Rettungs- und Aufräumarbeiten weiter. Kanzlerin Merkel hält einen «langen Atem» für nötig. In den Hochwassergebieten bereiten dagegen die Wetteraussichten neue Sorgen.
Offenbach/Berlin (dpa) - Nach der Flutkatastrophe sind die Aufräum- und Rettungsmaßnahmen noch im vollen Gange - da blicken die Menschen in den betroffenen westdeutschen Gebieten bereits wieder mit Sorge auf die Wetteraussichten für das Wochenende. Es könne erneut Starkregen geben, sagte eine Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am Donnerstag - wo genau, sei derzeit aber noch nicht genau vorherzusagen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte die Bevölkerung derweil auf eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Bewältigung der Unwetterkatastrophe mit mindestens 175 Toten ein. In Nordrhein-Westfalen beschloss das Landeskabinett 200 Millionen Euro Soforthilfe für die Betroffenen.
In den kommenden Tagen droht im Westen Deutschlands neues Ungemach: Schauerartiger Regen und Gewitter werden nach Angaben des DWD am Wochenende in Rheinland-Pfalz und auch im Saarland erwartet. Nach einigen Tagen Sonnenschein kann es auch in Nordrhein-Westfalen am Wochenende wieder Schauer und Gewitter mit Starkregen geben. «Es kann theoretisch und punktuell in den Unwetterbereich gehen», hieß es vom DWD.
Vorige Woche hatte ein Unwetter mit Starkregen eine verheerende Flut in Rheinland-Pfalz und NRW ausgelöst. Die Opferzahlen stiegen auch am Donnerstag weiter. Bei der Hochwasserkatastrophe kamen mindestens 175 Menschen ums Leben - in Rheinland-Pfalz nach bisherigen Erkenntnissen 128, in NRW 47.
Wir werden zur Behebung all dieser Schäden einen langen Atem brauchen
Angela Merkel
Kanzlerin Merkel sprach in Berlin unter anderem über die Aufbauarbeiten. «Wir werden zur Behebung all dieser Schäden einen langen Atem brauchen», sagte sie. Es gebe schreckliche Verwüstungen durch das Hochwasser, Deutschland trauere um 170 Tote. Ziel sei eine gemeinsame Finanzierung der Flutschäden, sagte die Kanzlerin. Die Bundesregierung habe einen Betrag von 200 Millionen Euro für Soforthilfe zur Verfügung gestellt. In den nächsten Tagen und Wochen werde mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer darüber gesprochen, wie sich ein gemeinsamer Aufbaufonds organisieren lasse.
Das Landeskabinett in Düsseldorf beschloss am Donnerstag Soforthilfen für Privatbürger, Wirtschaft, Landwirte und Kommunen in Höhe von 200 Millionen Euro. Der Bund habe zugesagt, die Summen der Länderhilfspakete jeweils zu verdoppeln, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Anträge könnten sofort gestellt werden.
Für betroffene Bürger gebe es einen Sockelbetrag in Höhe von 1500 Euro pro Haushalt, sagte Laschet. Für jede weitere Person stünden 500 Euro bereit. Insgesamt würden maximal 3500 Euro pro Haushalt ausgezahlt. Bedürftigkeits-, Vermögens- und Detailprüfungen werde es nicht geben. «Entscheidend ist, dass das Geld jetzt schnell bei den Menschen ankommt», sagte er. Er kündigte zudem an, in einer Ministerpräsidentenkonferenz klären zu wollen, welchen Anteil jedes Bundesland an den Folgekosten der Flutkatastrophe übernehmen werde.
Der DWD bezeichnete die Katastrophe in einer klimatologischen Einordnung als «Jahrhundertereignis». An einer ungewöhnlich großen Zahl von Stationen im Westen seien bisherige Rekorde weit übertroffen worden. Innerhalb weniger Stunden oder Tage sei im Mittel über ganze Flusseinzugsgebiete das 1,5 bis zweifache des mittleren Niederschlages im Juli bezogen auf die Referenzperiode 1991-2020 erreicht worden.
Mehr als 150 Menschen werden in Rheinland-Pfalz noch vermisst. «Eine Woche nach einem solchen Ereignis nehmen die Chancen, dass Vermisste noch leben können, ab», sagte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) in einer Sondersitzung von drei Landtagsausschüssen. Von den 128 Toten in Rheinland-Pfalz seien bisher 62 identifiziert. «Wir planen keine Massenbeerdigung. Wir wollen, dass die Menschen in Würde von ihren Lieben bestattet werden können», sagte Lewentz. Er zeigte sich besorgt, dass der für das Wochenende angekündigte Regen die Lage zusätzlich erschweren könne.
Die Schäden sind immens. Im Kreis Ahrweiler wurden nach Angaben von Lewentz unter anderem 62 Brücken zerstört, 19 Kindertagesstätten sowie 14 von 60 Schulen stark beschädigt oder zerstört. Das finanzielle Ausmaß der Hochwasserkatastrophe ist nach den Worten der Mainzer Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) noch unklar.
Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) machte sich am Donnerstag vor Ort ein Bild von der Lage in Rheinland-Pfalz: Gerda Hasselfeldt besuchte in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine ambulante Arztpraxis des DRK. «Wir stellen uns schon darauf ein, dass wir noch mehrere Monate Hilfe zu leisten haben», sagte sie. «Wir bleiben auf jeden Fall, solange die Menschen die Hilfe nötig haben.»
Rund 3500 Helfer des DRK aus ganz Deutschland seien derzeit in den von betroffenen Gebieten im Einsatz. «Diese Hilfe wird auch vonseiten der Bevölkerung sehr anerkannt», sagte Hasselfeldt. Zudem gebe es eine große Spendenbereitschaft: Bereits mehr als 15 Millionen Euro seien an Spenden eingegangen.
Der Präsident der Bundesvereinigung des Technischen Hilfswerkes, Marian Wendt, sprach sich für mehr zentrale Steuerung im Krisenfall aus. «Der Einsatzleiter vor Ort hat mitunter gar keinen Überblick darüber, welche Kräfte zur Verfügung stehen», sagte der CDU-Politiker der «Bild»-Zeitung. «Wir brauchen eine Lagekoordinierung auf Bundes- und Landesebene bei Katastrophenfällen.» Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plädierte dafür, Planungsverfahren für Hochwasserschutz-Maßnahmen zu beschleunigen.
Im Katastrophengebiet Erftstadt-Blessem in Nordrhein-Westfalen kehrten Anwohner am Donnerstag in ihre Häuser zurück. Viele Menschen waren unmittelbar nach der Katastrophe zwar einmal kurz dort gewesen, um die wichtigsten Habseligkeiten zu holen - mussten dann aber wieder weg, denn es galt ein Betretungsverbot.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will für die Opfer und Betroffenen der Flutkatastrophen am Freitag in ganz Deutschland die Kirchenglocken läuten lassen. Gleichzeitig lädt die EKD zu Gebeten und Andachten ein. Man habe zudem gemeinsam mit der Diakonie vier Millionen Euro an Spenden für die Betroffenen zur Verfügung gestellt, hieß es.