FDP und Koalitionsbruch Papier zum Ampel-Ausstieg löst Beben in der FDP aus
Chaostage bei der FDP: Keine 24 Stunden nach dem Bekanntwerden eines detaillierten Papiers zum Ampel-Ausstieg gibt es personelle Konsequenzen. Der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer gehen.
Berlin - Knapp drei Monate vor der geplanten Bundestagswahl hat sich die FDP mit ihrem detaillierten Plan zum Ampel-Ausstieg in eine tiefe Krise manövriert. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann traten einen Tag nach dem Bekanntwerden des Konzepts zurück. Beide sind enge Vertraute von Parteichef Christian Lindner. Wer ihnen nachfolgen wird, stand zunächst nicht fest. Damit muss sich die FDP, deren Wiedereinzug in den Bundestag nach den Umfragen fraglich ist, wenige Wochen vor der angestrebten Wahl am 23. Februar neu sortieren.
Lindner distanzierte sich von dem Papier. „Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt“, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. „Unabhängig von diesem Dokument will ich aber ausdrücklich bestätigen, dass es angesichts des Streits in der Koalition und des Stillstands im Land notwendig war, das mögliche Ausscheiden der FDP aus der Ampel zu durchdenken. Hierzu weise ich jeden Vorwurf zurück.“
Djir-Sarai will Schaden für Glaubwürdigkeit verhindern
Mit ihren Rücktritten reagierten beide FDP-Politiker auf das „D-Day“-Papier der Partei, das am Donnerstag bekanntgeworden war. Es enthält ein detailliertes Szenario für den Ausstieg der FDP aus der Ampel mit SPD und Grünen. Djir-Sarai hatte noch am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung betont: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“
Offenbar hatte er bei seiner Rücktrittserklärung diesen Widerspruch im Blick. „Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte“, sagte der 48-Jährige in einer kurzen Erklärung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. „Dafür entschuldige ich mich.“ Er übernehme die politische Verantwortung, „um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden“.
In einer schriftlichen Erklärung von Reymann hieß es, er habe Lindner den Verzicht auf sein Amt angeboten. Lindner habe dieses Angebot angenommen. „Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte.“ Die FDP stehe vor einer wichtigen Bundestagswahl, die eine Richtungswahl für Deutschland sei. „In diesen Wahlkampf sollte die FDP mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten gehen.“
Reaktion auf das „D-Day-Papier“
In dem Papier zum Koalitionsende ist zum Beispiel davon die Rede, dass der „ideale Zeitpunkt“ für einen „avisierten Ausstieg“ aus der Ampel zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses - indem Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses Lindner als Finanzminister entließ.
Druck wuchs vor dem Rücktritt
Unmittelbar vor der Erklärung Djir-Sarais hatte die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, dessen Rücktritt gefordert. „Als Generalsekretär trägt Bijan Djir-Sarai die politische Verantwortung für die Inhalte und die Ausrichtung der Partei. Um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden, habe ich Bijan Djir-Sarai als JuLi-Bundesvorsitzende dazu aufgefordert, von seinem Amt zurückzutreten“, schrieb Brandmann im Portal X. Sie erklärte, das am Vortag öffentlich gewordene Papier sei „einer liberalen Partei unwürdig“.
Kritik auch am Wortlaut des Strategiepapiers
Das Papier stieß auch wegen der Wortwahl auf Kritik. In ihm taucht der durch den Zweiten Weltkrieg geprägte Begriff „D-Day“ mehrfach auf - als Synonym für den möglichen Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Ampel. Der englische Begriff „D-Day“ kann mit „Tag X“ oder „Tag der Entscheidung“ übersetzt werden. Bekannt ist er vor allem durch Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Den Auftakt dafür markierte der „D-Day“ am 6. Juni 1944. Er steht auch für unmenschliches Blutvergießen, Zehntausende Tote und Verwundete.
Djir-Sarai seit gut zwei Jahren Generalsekretär
Djir-Sarai war seit April 2022 Generalsekretär der FDP. Er wurde 1976 in Teheran geboren, kam später nach Deutschland, wo er Betriebswirtschaftslehre studierte. 2009 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt. Seit 2017 gehört er dem Parlament wieder an. Er war von 2017 bis 2021 außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und ist nach wie vor Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Djir-Sarai vertritt den nordrhein-westfälischen Wahlkreis Neuss I im Bundestag.
Auch Reymann ein enger Lindner-Vertrauter
Anders als Generalsekretär Djir-Sarai arbeitete Reymann im Hintergrund. Der Bundesgeschäftsführer war erst seit dem 1. März im Amt. Davor war er zunächst Büroleiter von Lindner im Bundestag und dann im Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums tätig gewesen.
SPD spricht von Bauernopfer
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch nannte den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs ein „durchschaubares Bauernopfer“. Der Schritt sei erfolgt, um die Verantwortung von Lindner abzulenken, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Scheibchenweise neue Details bekanntzugeben, reiche aber nicht aus. „Die entscheidende Frage bleibt: Welche Rolle hat Christian Lindner selbst in diesen Plänen gespielt?“. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte der „Rheinischen Post“ (Samstag): „Die FDP hat das ganze Land hinters Licht geführt und die Öffentlichkeit belogen.“
Zustimmung zu Rücktritten auch aus der FDP
FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann erwartet von ihrer Partei nun eine ernsthafte Aufarbeitung von Fehlern. „Der Rücktritt des Generalsekretärs und des Bundesgeschäftsführers ist angesichts der Kommunikation der letzten Tage unausweichlich gewesen. Wer führt, muss auch Verantwortung übernehmen“, sagte Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki nannte Djir-Sarais Rückzug in der „Welt am Sonntag“ folgerichtig: „Die Kommunikation um das Papier war fehlerhaft, ja indiskutabel schlecht.“