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Sozialdemokraten freuen sich über Hollandes Wahlsieg in Frankreich / Ein Franzose träufelt ihnen etwas Essig in den Wein der Freude Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird

09.05.2012, 05:24

Dass Frankreich in den kommenden fünf Jahren einen sozialistischen Präsidenten haben wird, freut auch die deutschen Sozialdemokraten. In ihren Wein der Freude träufelt Gérard Foussier ein bisschen Essig. Der Chefredakteur von "Documents", einer Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, sagt: "Frankreich hat nicht François Hollande gewählt, sondern Nicolas Sarkozy abgewählt".

Der Franzose erinnert auf einer Veranstaltung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung am Montagabend in Magdeburg daran, dass Deutschland 1998 Ähnliches erlebte, als Helmut Kohl abgewählt worden war und der Sozialdemokrat Gerhard Schröder eine Regierung mit den Grünen bildete.

Foussier bekennt: "Ich habe Sarkozy gewählt". Nicht wegen dessen Sprunghaftigkeit, verschiedener Eskapaden und "ungedeckter Behauptungen". Eben davon hatte die Mehrheit der Wähler genug. Foussier auch. Doch reicht seine Sicht auf die Dinge weiter: Die Politik von Sarkozy wäre besser gewesen, um notwendige Reformen durchzuführen, meint er. Das haben offenbar auch 48,4 Prozent der französischen Wähler so gesehen.

Nun also Hollande. Dessen Wahl zum Staatspräsidenten reflektiere "den Pessimismus des französischen Wahlvolks, das kein Ende der Krise sah", analysiert Foussier, geht kurz auf Hollandes Wahlversprechen ein und sagt: "Jetzt muss der Staatspräsident sagen, wie er das machen will". Bald werde sich zeigen, wie groß sein finanzieller Spielraum ist. Und sein politischer. Es sei keinesfalls sicher, dass die Sozialisten die Parlamentswahl im Juni gewinnen, sagt Foussier. Dort haben die Abgeordneten von Sarkozys gaullistischer UMP derzeit eine deutliche Mehrheit. Und wenn das so bleibt, muss der sozialistische Präsident mit einer bürgerlichen Regierung leben.

Im Wahlkampf hatte Sarkozy anfangs Deutschland zum Vorbild erklärt. Das habe bei den Franzosen etwa so gewirkt, als würde in einer Familie dem kleinen Bruder immer wieder vorgehalten, wie ausgezeichnet doch der große Bruder sei, beschreibt Foussier die Stimmung. Da sattelte Hollande auf, wenn er sagte, Angela Merkel solle nicht bestimmen und "Merkel werde sehen, was französische Linie ist".

Mit solchen starken Sprüchen ist es wie mit Wahlversprechen: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das machte auch der Politikwissenschaftler Dr. David Kabus von der Martin-Luther-Universität Halle deutlich. Es habe sich immer wieder gezeigt, dass die Protagonisten nach ein wenig Anlaufzeit zueinander gefunden haben. Das sei immer dann am besten gewesen, wenn sie aus unterschiedlichen politischen Lagern kamen.

Foussier weiß, es dauert eine Weile, bis "man die Zwänge des anderen kennt". Irgendwann werden beide einsehen, dass ohne den Partner gar nichts geht. Spätestens im Januar 2013 wird das soweit sein. Dann wird der 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages, des Freundschaftsvertrages zwischen Deutschland und Frankreich, begangen. Bei der Unterzeichnung im Jahr 1963 hatten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer noch gezögert, einander zu umarmen. Jahre später, am 22. September 1984, standen der deutsche Kanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Verdun Hand in Hand. 2005 küsste Präsident Jacques Chirac Kanzlerin Merkels Hand, es folgten die Merkozy-Umarmungen. Symbole. Aber auch Indikatoren für den Stand politischer Beziehungen.

Kabus räumt ein, dass Deutschland und Frankreich die Krise unterschiedlich zu spüren bekommen. "Da hat sich auf wirtschaftlicher Ebene etwas verschoben." Aber es sei ein machtpolitisches Verhältnis auf Augenhöhe.

Als vom Tandem die Rede ist, wirft Foussier ein: "Wer vorn sitzt, gibt die Richtung vor." Er will zeigen: Man hat nicht den richtigen Begriff gefunden, wenn man den Eindruck hat, dabei müsse einer gewinnen.