Fiona Scott Morton Abgekartetes Spiel in Brüssel?
Der deutsche EU-Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei) erkennt in der Ernennung der US-Amerikanerin Fiona Scott Morton zur Chefökonomin der Generaldirektion Wettbewerb durch die EU-Kommission einen riesigen Lobbyskandal in Brüssel.
Die in ihren Hintergründen mysteriöse Personalie war am vergangenen Freitag bekannt geworden. „Damit wird die Regulierung der digitalen Märkte einer mit Interessenskonflikten überladenen Lobbyistin der Big-Tech-Konzerne übertragen. Morton war nicht nur für das US-amerikanische Justizministerium, sondern auch für mehrere oligopolistische US-Digitalkonzerne tätig (Apple, Amazon, Microsoft), deren Beratung ihr mehrere Millionen Dollar eingebracht hat“, schrieb Sonneborn gestern auf seinem Facebook-Account.
Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), mit weiteren EU-Politikern gegen die Personalie protestiert und gefordert, diese rückgängig zu machen. Mehrere französische Spitzenpolitiker zeigten sich entsetzt.
Bereits die Berufung der US-amerikanischen Greenpeace-Aktivistin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin im Auswärtigen Amt durch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sei verwunderlich gewesen, zumal Morgan erst im Schnellverfahren eingebürgert werden musste. Dies sei aber „noch gar nichts gegen die Idee, der die EU-Kommission gerade Gestalt verliehen hat. In einem klammheimlichen und nur in Bruchteilen ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahren“ habe die EU-Spitze für einen ihrer wichtigsten Regulierungsposten nun Morton rekrutiert.
Letztere solle am 1. September 2023 Chefökonomin für Wettbewerbsfragen werden. Damit stünde Morton an vorderster Front im Kampf der EU-Behörde gegen die Marktmacht großer US-Konzerne wie Apple, Amazon oder Meta (Facebook, Instagram), die seit Jahren wegen ihrer Geschäftspraktiken in der EU in der Kritik stehen.
„Es könnte der Verdacht entstehen, so mehrere NGOs um Lobby Control schon im Mai, dass dieses Einstellungsverfahren speziell darauf zugeschnitten wurde, eine ganz bestimmte Bewerberin aus dem Nicht-EU-Raum zu begünstigen“, so Sonneborn. Morton habe zudem ihre Kollegen an der Yale University bereits im April über ihre Berufung in die EU-Verwaltung informiert; „einer ihrer Kollegen gratulierte ihr mit einem (inzwischen gelöschten) Tweet sogar auf Twitter“. Mit Bezug auf „ungenannte Quellen“ hätten „Bloomberg“ und die „Financial Times“ die anstehende Stellenbesetzung bereits Anfang April gemeldet, „nicht ohne zu präzisieren, Morton sei so gezielt ausgewählt worden, dass man da drüben eigens für sie gar die geltenden Ausschreibungsregeln ,anpassen’ werde“.
Wurden EU-Kommissare gezielt reingelegt?
Sonneborn geht davon aus, dass die EU-Kommissare, deren Zustimmung für die Einstellung formal erforderlich war, „schlicht und ergreifend hereingelegt“ wurden: „In den Unterlagen zum letzten Treffen des Kollegiums am 11. Juli war die Neubesetzung (wohlweislich) im Anhang eines am Vortag per E-Mail übersandten Dokumentenstapels versteckt, am Ende langer Litaneien zu anderen Themen und einer Reihe anderer, völlig unspektakulärer Neubesetzungen.“
Seine Behauptungen unterlegt der frühere Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“ mit Indizien: „Der Hauptteil der 26-seitigen Passage zum Posten des Chefökonomen war den zehn abgelehnten Kandidaten gewidmet, unter ihnen etwa der Spanier Juan José Ganuza Fernández. Und die Darstellung von Mortons Vita schließlich kaprizierte sich auf die zu erwartende Muttersprache (,Englisch’), während die dazugehörige Nationalität (USA) einfach gänzlich unterschlagen wurde.“
„Niemand wusste, dass sie US-Amerikanerin ist“
„Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie Amerikanerin war. Wir dachten alle, sie sei Irin“, habe ein hoher Beamter der französischen „Libération“ berichtet: Er versicherte, dass niemand eine Ahnung gehabt habe, worüber da eigentlich abgestimmt wurde. „Wir haben erst auf Twitter herausgefunden, dass wir etwas Inakzeptables akzeptiert hatten.“
Sonneborn fasst zusammen: „Das Ganze wirkt wie ein verunglückter Täuschungsversuch aus dem Vorabendprogramm des Kinderkanals.“ Er ergänzt: „Der Eindruck, den sie erzeugt, kümmert die Kommission offenbar gar nicht mehr. Ebenso wie die internen Rechtsvorschriften für Verwaltungsprozesse. Und wie die Kommission sich schließlich die für die Einsicht in sensible ökonomische Daten und wirtschaftspolitische Strategiepapiere obligate Sicherheitsfreigabe aller 27 Mitgliedsstaaten an eine US-Amerikanerin vorstellt, bleibt erst recht ihr Geheimnis.“