1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Bildungskrise immer dramatischer

Bildungskrise immer dramatischer

Das deutsche Bildungssystem steckt in der Krise: Lehrkräftemangel, Schulabbrecher, Leistungsverschlechterungen bei den Jüngsten und immer mehr Migrationskinder mit schlechten Sprachkenntnissen in den Klassen. Nun wird durch eine weitere Studie bestätigt, dass viele Kinder nach fast vier Jahren Grundschule kaum lesen können.

18.05.2023, 18:10
Ein Mädchen liest in einem Schulbuch, doch bei Grundschülern in Deutschland ist diese wichtige Grundlage für Bildung keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit.
Ein Mädchen liest in einem Schulbuch, doch bei Grundschülern in Deutschland ist diese wichtige Grundlage für Bildung keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit. Foto: Imago

Berlin - dpa/aw/uk

Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann einer Studie zufolge nicht richtig lesen. Wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) hervorgeht, erreichen 25 Prozent der Kinder in dieser Altersstufe nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre. Bei der letzten Iglu-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent.

Der Anteil der betroffenen Schüler mit großen Leseschwierigkeiten ist nach Einschätzung der Studienautoren inzwischen „alarmierend hoch“. Bei der letzten Iglu-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag er noch bei bereits hohen 19 Prozent. Die betroffene Gruppe werde in ihrer weiteren Schullaufbahn „erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern haben“, sofern sie den Rückstand nicht aufholen könne.

Weit abgeschlagen hinter Singapur und Russland

Die Studie zeigt außerdem: International schneiden Grundschüler in Deutschland bei der Lesekompetenz schlechter ab als Gleichaltrige in vielen anderen Ländern. Inzwischen liegt die Lesekompetenz der untersuchten Gruppe unter dem EU-Durchschnitt. Weit vor Deutschland liegen Singapur, Russland, England, Polen, Dänemark und Italien.

Die betroffenen Schüler würden in ihrer weiteren Schullaufbahn „erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern haben“, sofern sie den Rückstand nicht aufholen könnten, heißt es in der Studie. Der deutschen Bildungspolitik stellt sie ein schlechtes Zeugnis aus: Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) vor mehr als 20 Jahren im Zuge des sogenannten Pisa-Schocks formulierten Ziele für die Weiterentwicklung der Bildung in Deutschland seien an vielen Stellen verfehlt worden.

Die Befunde von Iglu reihen sich in die schlechten Ergebnisse anderer Bildungsstudien ein: 2022 hatte der IQB-Bildungstrend, eine ebenfalls regelmäßige Test-Reihe unter Viertklässlern, gezeigt, dass diese in den sogenannten Basiskompetenzen in Mathe und Deutsch in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefallen sind.

Aus dem „Pisa-Schock“ hat man nicht viel gelernt

Die Autoren stellen der deutschen Bildungspolitik ein schlechtes Zeugnis aus: Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) vor mehr als 20 Jahren im Zuge des sogenannten „Pisa-Schocks“ formulierten Ziele für die Weiterentwicklung der Bildung in Deutschland seien an vielen Stellen verfehlt worden.

Für einen Teil der Entwicklung machen die Wissenschaftler die Corona-Einschränkungen an den Schulen verantwortlich. Daneben sei auch die Zusammensetzung der Schülerschaft ein Thema, sagte Iglu-Studienleiterin Nele McElvany gestern. „Wenn die Familiensprache eben nicht Deutsch ist, ist das für die Grundschule eine andere Fördersituation ...“.

Das Iglu-Forscherteam rät zu einer „klaren Prioritätensetzung“ in den Grundschulen und empfiehlt mehr lesebezogene Aktivitäten im Unterricht, Aufholunterricht in Kleingruppen sowie individuelle Unterstützung und wirbt außerdem für eine frühe Sprachförderung.

„Das Iglu-Ergebnis verdeutlicht einmal mehr die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen bei der Verbesserung der Lese-, Sprach- und Sprechkompetenzen. Die Corona-Pandemie und eine mittlerweile sehr heterogene Schülerschaft haben die Lage noch ernster gemacht“, sagte gestern Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) auf Anfrage der Volksstimme zu den Ergebnissen. Erfreulich seien zumindest die nachgewiesen gute Lesemotivation und die gestiegene Schulzufriedenheit.