Großbritannien Comeback oder Abschied: Tories ringen um Johnsons Zukunft
Außenministerin Liz Truss gilt Umfragen zufolge als Favoritin im Rennen um die Boris-Johnson-Nachfolge. Ihr Kontrahent Rishi Sunak hat es da nicht nur bei der konservativen Presse deutlich schwerer.
London - Der scheidende Premierminister Boris Johnson soll in der nächsten britischen Regierung keine Rolle spielen. Mit dieser Ankündigung in ihrem ersten TV-Duell laufen seine möglichen Nachfolger - Außenministerin Liz Truss oder Ex-Finanzminister Rishi Sunak - Gefahr, Sympathien bei der Basis der Konservativen Partei zu verspielen. Denn Johnson ist bei vielen Tories nach wie vor beliebt und der Ärger über seinen erzwungenen Rückzug groß. In einer Petition an ihren Generalsekretär fordern bereits mehr als 10.000 Mitglieder, Johnson zusätzlich zu Truss und Sunak auf den Wahlzettel zu setzen.
Das Gefühl bei vielen Tories: Die da oben entscheiden eh ohne uns. „Unsere erste Wahl wurde ohne unsere Beteiligung entfernt“, heißt es in der Petition. „Sie können die Mitglieder nicht vom gesamten Prozess ausschließen.“ Vielmehr sei das Verfahren anfällig für Missbrauch durch die Parlamentsfraktion, die in mehreren Runden Truss und Sunak für die Stichwahl gekürt hatte. Initiator Peter Cruddas, Johnson-Vertrauter und Mitglied im Oberhaus, sprach von einem „Coup“, der dem Willen des Landes widerspreche. Schließlich habe Johnson erst 2019 die Parlamentswahl mit großer Mehrheit gewonnen.
Der Amtsinhaber gilt vielen immer noch als der einzige Politiker, der die Partei einen und 2024 zum Wahlsieg führen kann. Mit der hölzern wirkenden Truss und dem als abgehoben geltenden Sunak sehen viele Mitglieder wenig Chancen, die desaströsen Umfragewerte zu drehen.
In ihrem TV-Duell, das am Montagabend live von der BBC übertragen wurde, waren sich Truss und Sunak im Grundsatz einig, dass Johnson in ihrer Regierung keine Rolle spielen wird. Allerdings wurde Sunak deutlicher: „Die Antwort ist einfach: Nein“, sagte der Ex-Schatzkanzler. Die Partei müsse nach vorne schauen. Dem 42-Jährigen wird aus dem rechten Tory-Lager und auch aus Johnsons Umfeld vorgeworfen, er habe dem Premier das Messer in den Rücken gerammt und mit seinem Rücktritt den Sturz des 58-Jährigen erst ausgelöst. Truss hingegen hat angeblich Johnsons Unterstützung. Die Ministerin hatte sich bis zuletzt loyal gezeigt und lavierte nun herum, bis sie schließlich feststellte: „Ich denke, er braucht eine wohlverdiente Pause nach ein paar sehr schwierigen Jahren.“
Milliardenschwere Steuerversprechen
Kurz vor dem zweiten Duell, das am frühen Dienstagabend von der Zeitung „Sun“ und dem Sender Talk TV übertragen werden sollte, galt die seit Dienstag 47 Jahre alte Truss weiter als Favoritin. Zwar nahm Sunak ihre milliardenschweren Steuerversprechen auseinander und warb für eine bedächtigere Senkung der Abgaben. Doch schaffte es der Ex-Finanzminister nach Einschätzung von Beobachtern nicht, die Außenministerin allzu sehr in Bedrängnis zu bringen. Wie in vorigen Debatten griffen sich die Kontrahenten wiederholt scharf an, Sunak fiel Truss mehrfach ins Wort.
„Erbitterte Tory-Rivalen werden persönlich“, titelte die Zeitung „Times“. Beobachter wundern sich, wie die Partei nach dem heftig geführten Machtkampf wieder an einem Strang ziehen will. Ein guter Teil der Mitglieder scheint der Meinung zu sein, dass nur Johnson die Tories einen kann - obwohl er mit Lügen und Skandalen die Spaltung ausgelöst hatte. Der Populist scheint seine Chance zu wittern. Die konservative Zeitung „Telegraph“ zitierte eine Quelle mit brisanten Äußerungen. Er wolle gar nicht zurücktreten, sondern die nächste Parlamentswahl als Chef der Konservativen Partei führen, soll Johnson seinem Kumpel Cruddas beim Mittagessen gesagt haben.
Nie das Wort „Rücktritt“ in den Mund genommen
Dem widersprach zwar eine Tory-Quelle. Auch Regierungsmitglieder lehnen die Idee ab. „Seine Amtszeit endet und das bedeutet ein neues Kapitel für ihn und für die Konservative Partei“, sagte der für Wales zuständige Minister Robert Buckland. Doch ganz festlegen wollte sich auch er nicht. Eine Rückkehr Johnsons sei „unwahrscheinlich“, sagte Buckland nur. Beobachter wiesen zudem darauf hin, dass Johnson bisher nie das Wort „Rücktritt“ in den Mund genommen habe. Sein früherer Berater Tim Montgomerie will gehört haben, dass Johnson überzeugt sei, in einem Jahr wieder Premier zu sein.
Selbst äußert sich Johnson nicht, doch seine Abschiedsworte im Parlament klingen nach. „Hasta la vista, Baby“, zitierte er dort den Hollywood-Schlager „Terminator 2“. Viele dachten dabei an ein anderes „Terminator“-Bonmot: „I'll be back“ - ich komme wieder. Die aktuellen Parteiregeln sehen zwar vor, dass Johnson nicht in den Kampf um seine Nachfolge eingreifen darf. Der soll am 5. September entschieden sein, dann wird das Ergebnis der parteiinternen Abstimmung erwartet. Etwa 160 000 konservative Mitglieder wählen den neuen Premier. Eine landesweite Neuwahl ist keine Pflicht. Doch zu einem späteren Zeitpunkt dürfte Johnson wieder antreten. Sein großes Vorbild Winston Churchill kehrte nach vier Jahren Pause in die Downing Street zurück.