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Politisches Buch Die bauernschlaue Margot Honecker

Nils Ole Oermann reflektiert seine Gespräche mit der ehemaligen First Lady der DDR.

Von Steffen Honig 02.07.2016, 01:01

Es ist das Schicksal von Diktatoren und ihren Anverwandten, dass nach ihrem Ableben das Interesse an ihnen nicht nachlässt. Das trifft auch für die Familie Honecker zu, zunächst für den Partei- und Staatschef Erich, nun für seine jüngst verstorbene Gattin Margot.

Der Autor Nils Ole Oermann hat dazu den Band „Zum Westkaffee bei Margot Honecker“ vorgelegt. Das Buch ist eine Quintessenz mehrerer Gespräche, die Oermann zwischen 2013 und 2016 mit der ehemaligen First Lady der DDR in ihrem chilenischen Exil führen konnte, und hinlänglich Bekanntem aus dem Leben der Hallenserin.Wie etwa die Beziehung zu ihrem späteren Gatten, die in den Nachkriegswirren entstand und eine eklatante Verletzung kommunistischer Prinzipien darstellte – denn Erich Honecker war bereits verheiratet, seine Gattin Edith Baumann intervenierte bei Walter Ulbricht – vergeblich. Honeckers wurden ein Paar. Doch wie sich die Beziehung des führenden DDR-Paares tatsächlich gestaltet, bleibt auch bei Oermann weitgehend im Dunkeln.

Margot Honecker, geborene Feist, wollte sich bis zum Schluss nicht auf die Diktatorengattin reduzieren lassen. Ihr Brevier war das Bildungswesen der DDR, das sie in stalinischem Sinne über Jahrzehnte prägte. Dass sie, wie sie auch dem Autoren gegenüber deutlich macht, unbeirrt an der Richtigkeit ihrer Linie festhielt, ist ihrer persönlichen Erfahrung als Kind des kommunistischen Widerstandes geschuldet.

Dessen Prinzipien wurden zu ihrer Mission. Mit dem Freund-Feind-Denken als Mantra. Wer nicht dem Sozialismus dienen wollte, kam nicht auf die Oberschule, die sie überdies gegen Ende der DDR-Zeit im Übermaß militarisierte. Dass für den Aufbau des Sozialismus Menschen über die Klinge springen müssen, ist für Margot Honecker gesetzmäßig. Für Oermann eben nicht. Die gegensätzlichen Auffassungen vom Charakter einer Gesellschaft stehen zwischen den Gesprächspartnern. Nur – und das zeichnet das Buch aus – versucht der Autor sich objektiv damit auseinanderzusetzen, und die Härte der Frau mit den lila Haaren aus ihrer Biografie zu erklären.

Zu dieser gehört, dass Margot Honecker zwar für die Bildung des Volkes verantwortlich zeichnete, selbst aber nur über einen sehr begrenzten Wissensschatz verfügte. Dies zu kaschieren gelang ihr nicht durch Intelligenz, sondern Bauernschläue, urteilt Oermann. Er schildert die Obsession der Ministerin für Ehrendoktortitel, eine Leidenschaft, die sie mit der rumänischen Diktatorengattin Elena Ceausescu teilte. Den Untergang des DDR-Staatsozialismus schreibt Honecker der verweichlichten neuen Funktionärskaste von Gysi bis Krenz zu. Aus Sicht Margot Honeckers floss in deren Adern Tinte und nicht Rotarmistenblut.

Scharf fällt die Abrechnung der alten Dame, die das Geschehen in der Heimat bis zu ihrem Ende verfolgte, mit Gorbatschow aus, der die Sowjetunion opferte. Besonders gefressen hatte sie dessen Gattin Raissa, die sich bei Berlin-Besuchen zum Shoppen in den Westteil der Stadt absetzte.

Nils Ole Oermann„Zum Westkaffee bei Margot Honecker“, Hoffmann und Campe 2016, ISBN 978-3455-50425-5, 16 Euro.