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Anti-IS-Kampf Mali ist das neue Afghanistan

Verteidigungsministerin von der Leyeen im deutschen Camp in Mali. Nach Afghanistan ist es der gefährlichste Bundeswehr-Einsatz.

Von Michael Fischer, dpa 19.12.2016, 23:01

 

Gao l Es ist nicht ganz einfach, sich bei 34 Grad im Schatten in Weihnachtsstimmung zu bringen. Die Soldaten in Gao geben ihr Bestes. Ein Weihnachtsbaum ist aus Deutschland angeliefert worden. Aufgestellt wird er erst an Heiligabend. Es könne jederzeit ein Sandsturm aufziehen, heißt es zur Begründung. Und für Sandstürme am Rande der Sahara sind deutsche Tannen nicht geschaffen.

Auch sonst ist es eher ungemütlich im Camp Castor im Norden des westafrikanischen Wüstenstaats Malis. Jede Nacht patrouilliert ein Spezialkommando von drei Soldaten durchs Camp, um Skorpione und Kamelspinnen aus den Büschen zu fischen. Der gefährlichste Feind der Blauhelmsoldaten der UN-Mission Minusma lauert aber außerhalb der hohen Mauern des Feldlagers. Vor vier Jahren war Gao eine Hochburg islamistischer Rebellen. Auch jetzt kommt es trotz eines Friedensabkommens regelmäßig zu Anschlägen und Angriffen.

Vor drei Wochen steuerten Selbstmordattentäter zwei mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge auf das Flughafengelände, das nur 900 Meter vom Haupttor entfernt liegt. Ein Fahrzeug explodierte, beim anderen versagte der Zünder. Zwei Flughafenbedienstete wurden leicht verletzt und im Feldlager bebte der Boden. „Da spürt man, das man im Einsatz angekommen ist“, sagt ein Zugführer, der regelmäßig Patrouillen außerhalb des Lagers anführt.

Am Montag trifft Ursula von der Leyen mit einer zivilen Chartermaschine für Krisengebiete am Ort des Anschlags ein. Mit gepanzerten Fahrzeugen geht es ins Camp. Die Verteidigungsministerin ist gekommen, um den Soldaten Mut zu machen. Sie will ihnen aber auch nichts vormachen und stellt sie auf ein langes Engagement ein: „Es gilt bei diesem Einsatz, dass wir Geduld haben müssen.“

Dass von der Leyen kurz vor Weihnachten die Soldaten in Gao besucht, hat großen Symbolwert. In den vergangenen Jahren war Afghanistan oft das einzige Reiseziel der Verteidigungsminister in der Adventszeit – weil es lange Zeit eindeutig der härteste und wichtigste Einsatz der Bundeswehr war. Das hat sich inzwischen aber geändert. Spätestens im nächsten Jahr wird Mali in mehrfacher Hinsicht der Einsatz Nummer eins sein:

⦁ Truppenstärke: Am 11. Januar wird das Kabinett eine Ausweitung des Mali-Mandats beschließen, die Zustimmung des Bundestags gilt als sicher. Dann können statt wie bisher maximal 650 bis zu 1000 Soldaten an der UN-Mission zur Umsetzung des Friedensabkommens für Mali teilnehmen. Hinzu kommen bis zu 300 Soldaten, die im Süden des Landes die malische Armee ausbilden. Damit werden in Mali wahrscheinlich bald so viele Soldaten stationiert sein, wie in keinem anderen Land der Welt. In Afghanistan, dem bisher größten Einsatz, liegt die Obergrenze bei 980 Soldaten.

⦁ Nähe: Von Berlin aus sind es 4200 Kilometer Luftlinie nach Gao. Das afghanische Masar-i-Scharif ist mit 4500 Kilometer auch nicht viel weiter entfernt. Gefühlt ist Mali Deutschland aber deutlich näher, als es diese Zahlen ausdrücken. Dazwischen liegen nur Algerien, Frankreich und das Mittelmeer.

⦁ Flüchtlingspolitik: Durch Mali und das Nachbarland Niger laufen die wichtigsten Flüchtlingsrouten zur libyschen Mittelmeerküste. Die Bekämpfung von Fluchtursachen hat in der deutschen Sicherheitspolitik eine sehr hohe Priorität. Deswegen war in diesem Jahr auch schon Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Region. Sie hat zudem Afrika zu einem Schwerpunktthema der laufenden deutschen G-20-Präsidentschaft erklärt. Der Kontinent ist also inzwischen ganz klar Chefsache.

⦁ Europas Verantwortung: Die USA überlassen es den Europäern, für Sicherheit und Stabilität vor ihrer Haustür zu sorgen. Als der Norden Malis 2012 in die Hände von Rebellen fiel, intervenierte Frankreich. Um die Ausbildung der malischen Armee kümmert sich jetzt die EU. Und an der UN-Friedensmission sind zwar überwiegend Afrikaner beteiligt. Aber hochwertiges Gerät wie Drohnen und Hubschrauber samt Personal stellen Länder wie Deutschland und die Niederlande. Beim Nato-Einsatz in Afghanistan haben dagegen ganz klar die USA den Hut auf.

Die Kehrseite des größeren deutschen Engagements in Mali: Es ist sehr gefährlich. Minusma ist die tödlichste aktuelle UN-Mission. Bis Oktober sind 70 Blauhelmsoldaten und andere UN-Kräfte bei Anschlägen und Angriffen von Aufständischen getötet worden.

Im Sommer wurde erstmals eine Bundeswehr-Patrouille beschossen. Im Oktober flogen Raketen über das Camp. Von einem „neuen Afghanistan“ will im Verteidigungsministerium trotzdem niemand etwas wissen obwohl auch die Mission am Hindukusch vor 15 Jahren als „Stabilisierungseinsatz“ begann und erst viel später zu einem verlustreichen Kriegseinsatz wurde.

„Hier in Mali ist ein Einsatz der nicht mit anderen Einsätzen zu vergleichen ist“, sagt von der Leyen in Gao. „Das wäre auch nicht fair, diesem Land gegenüber, dem Kontinent Afrika gegenüber.“