Prager Frühling Mit Panzern gegen die Freiheit
Es war die größte Militäroperation in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. In der Nacht zum 21. August 1968 begann die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings – im Wesentlichen durch Truppen der Sowjetunion. Der Traum eines humanen Kommunismus war vorbei.

Bis zu 350 000 Soldaten bietet Moskau im Spätsommer 1968 auf, um alle wichtigen Städte und Schaltstellen in der Tschechoslowakei zu besetzen. Auf Anordnung der Staatsführung unter Alexander Dubcek und Ludvik Svoboda greift die eigene Armee nicht ein – sie wollen ein sinnloses Blutvergießen verhindern.
Doch die Bürger des Landes, immer noch elektrisiert von den bahnbrechenden Reformideen eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, demonstrieren gegen die Besatzungstruppen. Bereits am ersten Tag der Invasion werden 23 Tschechen und Slowaken von den Besatzern getötet. Bis zur Niederschlagung der Proteste werden noch weitere 85 Tote zu beklagen sein.
Den Interessen der Partei und des Landes war schwerer Schaden zugefügt worden. Es war der Partei nicht gelungen, die Fehler zu beseitigen, ihre Isolierung zu überwinden und eine wirksame Wirtschafts- politik zu betreiben. Wir hatten jahrelang gewusst, dass etwas falsch war.
Alexander Dubcek zur Zeit zwischen 1950 und 1968 seines Landes
Nach heutigen Zahlen waren auch rund 17 000 Soldaten aus Ungarn, rund 24 000 aus Polen und rund 2200 aus Bulgarien an der Besetzung beteiligt. Militärisch waren diese bedeutungslos; ihre Anwesenheit sollte aber die Einigkeit des Ostblocks demonstrieren. Nur Rumäniens Staatschef Nicolae Ceaușescu – damals noch der Liebling des Westens, weil er als Reformer galt – verweigert eine Beteiligung. DDR-Staatschef Walter Ulbricht ist dagegen bereit, mit Truppen, die an der Grenze auf der sächsischen Seite des Erzgebirges in Bereitschaft standen, an der Invasion teilzunehmen. Doch der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew verbietet persönlich eine Beteiligung der NVA, um nicht bei den Tschechen unangenehme Erinnerungen an 1938 zu wecken.
In Moskau versteht man die Vorzeichen
„Die Kommunistische Partei ist von der freiwilligen Unterstützung des Volkes abhängig ... Sie kann ihre Autorität nicht erzwingen, sondern muss sie ständig durch ihre Taten erwerben“, hieß es im 1968 beschlossenen Manifest der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei.
Für sie ließ sich das alles auf ein einfaches Problem reduzieren – die Inter- essen der herrschenden Parteibürokratie.
Alexander Dubcek zu den Differenzen mit der Moskauer Führung.
Solche Auffassungen gelten im Politbüro in Moskau unter Chefideologe Michail Suslow als Häresie, erst recht, als der Führer und Ideengeber des Prager Frühlings, der Slowake Dubcek, Nägel mit Köpfen macht.
Die Tschechen und Slowaken sind dagegen in einer großen Mehrheit begeistert, nur die stalinistische Fraktion unter Antonín Novotný im Politbüro beschwert sich im Kreml. Und der „Prager Frühling“ entwickelt sich vom Projekt der Parteispitze zu einer Volksinitiative. Es geht um bedingungslose Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, Wirtschaftsreformen, Verbesserungen des Lebensstandards und die Schaffung eines Rechtsstaats.
Dubcek hat sich den rechtsgerichteten Kreisen angeschlossen.
Der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew 1968 zur Begründung des Sturzes von Alexander Dubcek.
Im Kreml ist man längst misstrauisch geworden. Michail Suslow – die graue Eminenz hinter Parteichef Leonid Breschnew, den er einst an die Macht gebracht hatte – setzt sich in Prag selbst ins Bild und fliegt entsetzt nach Moskau zurück Für Suslow, der Lenin noch persönlich kannte, ist Dubceks Weg Hochverrat am Kommunismus. Er verlangt ein hartes Eingreifen. Breschnew zögert zunächst, als aber sowjetisch-tschechoslowakische Geheimverhandlungen im Grenzort Cierná nad Tisou im Streit enden, lässt er sich von den Hardlinern umstimmen.
Sich selbst verstehen die Sowjets wieder als Befreier wie 1945, nur dieses Mal als Befreier „von Konterrevolutionären, Rechten, bürgerlichen Elementen und Antikommunisten“.
Ich schrieb, meiner Ansicht nach sei am schlimmsten, dass die Menschen erneut ihres Rechtes beraubt worden seien, sich frei und ohne Angst über öffentliche Angelegenheiten zu äußern
.Alexander Dubcek im Jahr 1976, als sich die Staaten des Ostblocks im Wesentlichen nicht an die Inhalte der „Schlussakte von Helsinki“ halten.
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings verschwindet Dubcek am 21. August 1968 zunächst spurlos. Später wird er mit einem Schützenpanzer zum Prager Flughafen gebracht und ins polnische Legnica (Liegnitz) entführt, wo das Hauptquartier der sowjetischen Ostblock-Streitkräfte liegt. Am 23. August wird er nach Moskau geflogen. Da es tagelang kein Lebenszeichen von Dubcek gibt, glauben seine Landsleute, dass ihn die Russen erschossen haben.
Unter Drohungen unterschreiben er und weitere entführte Mitglieder der Partei- und Staatsspitze als Gefangene im Kreml eine Art Kapitulation. Der „Prager Frühling“ ist Geschichte.
Eine Massenflucht setzt ein. Wer einen gültigen Reisepass hat, kann ausreisen. Bis zu 200 000 Tschechen und Slowaken gehen in den Westen. Die meisten bleiben in Westeuropa und sind in kürzester Zeit gut integriert.
Seid mit uns, wir sind mit euch.
In der Tschechoslowakei werden unter Moskaus Druck alle Reformen Stück für Stück zurückgenommen, viele Gesetze und Regeln sogar zum Stand von 1967 noch verschärft. Erst nach Jahren kehrt wieder so etwas wie „sozialistische Normalität“ im Land ein. Dubcek wird kaltgestellt, fliegt aus der Partei und zum kleinen Angestellten in der slowakischen Forstwirtschaft degradiert.
Nachfolger Dubceks wird Gustav Husak, der nach neueren Erkenntnissen in Verdacht steht, Kollaborateur der Deutschen zur Zeit des Zweiten Weltkrieg gewesen zu sein. Später geriet er in die stalinistischen Mühlen, wurde gefoltert und entkam nur knapp einem Todesurteil, bis er in der Entstalinisierung wieder rehabilitiert wurde. Gelernt hatte er nichts daraus.
Husak restauriert als Breschnews Mann die tschechoslowakische Gesellschaft im Sinne des Kreml. Aber die Ideen des Prager Frühlings – der auch die Dissidenten in der DDR inspirierte – leben im Volk weiter. Die bürgerliche Opposition sammelt sich in der „Charta 77“, gegen die Husak mit verschärfter Repression vorgehen lässt.

Ende 1989 geht kurz nach der Wende in der DDR auch in der Tschechoslowakei alles ganz schnell. Das Regime stürzt. Michail Gorbatschow akzeptiert die Entwicklung ohne das geringste Eingreifen.
Auch Dubcek betritt wieder die politische Bühne. Gemeinsam mit dem Bürgerrechtler Vaclav Havel lässt er sich am 24. November 1989 von Hunderttausenden auf dem Wenzelsplatz in Prag feiern. „Insbesondere betrieb er die Rückverwandlung des Parlaments von einer Stempelbehörde in ein aktives, unabhängiges Organ der Legislative“, beschreibt der Herausgeber seiner Autobiographie, Jiri Hochmann, seine spätere Rolle.
Dubcek stirbt Ende 1992 an den Folgen eines mysteriösen Autounfalls. Mit dem Prager Frühling wird er für immer in den Herzen der Tschechen und Slowaken bleiben.