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Oschmann: „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ Oschmann plädiert für Ostquote

Anfang 2023 erschien der Bestseller des Leipziger Literaturprofessors über das belastete Ost-West-Verhältnis. Noch immer füllt der Wissenschaftler die Säle.

Von Uwe Kreißig Aktualisiert: 10.10.2024, 15:05
Dirk Oschmann
Dirk Oschmann Foto: IMAGO

Es sind schon 20 Monate vergangen, als Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ erschien. Doch wider die üblichen Abläufe, nach denen „Empörungsbücher“ schnell aus dem Diskurs verschwinden, ist dies hier genau nicht geschehen. Insofern ist es kein Wunder, wenn der Leipziger Literaturprofessor auch in Chemnitz am Dienstagabend in der repräsentativen Esche-Villa vor ausverkauften Haus einen Rückblick auf seinen Bestseller gibt.

Der offenkundigen Diskriminierung der Ostdeutschen und deren unerwarteter Reaktion darauf stehe man in weiten Teilen von Politik und West-Medien nach wie vor fassungslos gegenüber. Der Ostdeutsche werde weiterhin wie „ein Schüler behandelt, der erzogen werden muss“, auch weil er sich „immer noch nicht normalisiert“ habe. Dabei werde vergessen, dass es die Ostdeutschen waren, die eine Diktatur demokratisch und ohne Blutvergießen in die Knie zwangen – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Geschichte.

Oschmann erinnerte an einen Anlass, wie es zu dem Buch kam. Er hatte die Einladung zu einer Vortragsreihe erhalten, das Thema lautete: „Warum der Osten die Gesellschaft spaltet“. Er beschloss daraufhin, einen gegensätzlichen Überblick zu geben.

Oschmann gab unumwunden zu, dass in seinem Buch für die Informierten und all jene, die nach der Wende in Ostdeutschland die Erfahrungen machten, die er beschreibe, nichts Neues stehe.

Sachsen: Der Osten des Ostens

Über den Osten dürfe alles gesagt werden, was sonst überhaupt nicht mehr möglich sei. Dazu zähle die Verächtlichmachung von Sachsen (Ist das demokratisch?), dem „Osten des Ostens“. Dort bündelten sich alle schlechten Eigenschaften der Ostdeutschen. Besonders über die Dresdner wäre jede primitive Häme erlaubt.

Barings Entgleisungen kein Problem für Verdienstorden

Oschmann zitierte die hetzerischen Einschätzungen des Juristen und Zeitgeschichtlers Arnulf Baring (selbst gebürtiger Dresdner!), die dieser 1991 über „den DDR-Menschen“ machte: „Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt. Jeder sollte nur noch ein hirnloses Rädchen im Getriebe sein, ein willenloser Gehilfe. Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken völlig unbrauchbar ... Sie haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktgesellschaft einbringen könnten.“ Diese sinnfreien Tiraden seien aber kein Hindernis gewesen, Baring 2011 das Große Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Um die Ungleichbehandlung bei der Besetzung höherer Stellen in Politik, Medien und Industrie wenigstens etwas zu nivellieren, hält Oschmann eine Quote für sinnvoll – auch um den Druck zu erhöhen.

Parallelen zur Ukraine

Leipzig (dpa). Beim Gedenken an die friedliche Revolution in der DDR vor 35 Jahren hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine Parallele zur Ukraine gezogen und nochmals um Unterstützung für Kiew geworben. „Das Erbe der friedlichen Revolution gebietet uns auch, uns für die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer einzusetzen, für ihr Recht auf Demokratie und für ihr Recht auf Frieden“, sagte der SPD-Politiker bei einem Festakt gestern in Leipzig.

Scholz räumt Kränkungen der Ostdeutschen durch Westdeutsche ein

Gedacht wurde der Großdemonstration vom 9. Oktober 1989, als mindestens 70.000 Menschen mit Rufen wie „Wir sind das Volk“ in Leipzig auf die Straße gingen. Einen Monat später fiel die Berliner Mauer. Die ukrainischen Bürger hätten bei ihren Protesten auf dem Maidan in Kiew 2014 dieselben Ziele gehabt wie die Bürger der DDR 1989, sagte der Kanzler.

Scholz räumte ein, dass nach der Wende viele Fehler gemacht worden sind. „Ich möchte das hier ganz klar sagen – zu den Enttäuschungen und Narben der Umbruchjahre hat auch die Selbstgewissheit der westdeutschen Republik beigetragen.“ Ostdeutsche Bürger hätten in den Jahren nach der Wiedervereinigung westdeutsche Ignoranz zu spüren bekommen. Der Mangel an Respekt hinterlasse Narben.dpa