1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Regierungsbildung Österreich: Kein Kanzler Kickl: FPÖ-Chef scheitert kurz vor dem Ziel

EIL

Regierungsbildung Österreich Kein Kanzler Kickl: FPÖ-Chef scheitert kurz vor dem Ziel

Die Rechtspopulisten standen vor ihrem größten Triumph. Jetzt ist vorerst alles aus. Nach dem Ende der Koalitionsgespräche mit der ÖVP sind die nächsten Schritte unklar.

Von Matthias Röder und Albert Otti, dpa Aktualisiert: 12.02.2025, 15:59
Kickl gab den Auftrag zur Regierungsbildung zurück.
Kickl gab den Auftrag zur Regierungsbildung zurück. Helmut Fohringer/APA/dpa

Wien - FPÖ-Chef Herbert Kickl ist kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt doch noch gescheitert. Kickl gab nach dem Platzen der Koalitionsgespräche mit der konservativen ÖVP den Auftrag zur Bildung einer Regierung zurück. „Ich setze diesen Schritt nicht ohne Bedauern“, schrieb der FPÖ-Chef. 

Die Entwicklung verhindert vorerst, dass erstmals ein Rechtspopulist österreichischer Regierungschef wird. In den vergangenen Tagen war immer deutlicher zutage getreten, dass dem angepeilten Bündnis das zwingend nötige Vertrauensverhältnis für eine Regierung fehlte. 

Die potenzielle Koalition war in Teilen der Bevölkerung mit großer Sorge beobachtet worden. Bei Demonstrationen gegen den Rechtsruck gingen bis zu 30.000 Menschen auf die Straße. Viele Bürger fühlten sich angesichts des Kurswechsels der ÖVP vor den Kopf gestoßen. Die Konservativen hatten ursprünglich ein Bündnis mit der FPÖ unter Kickl abgelehnt. 

Wie geht es jetzt weiter? 

In Österreich werden die politischen Karten nun wieder völlig neu gemischt. Die lange als wahrscheinlich gehandelten Neuwahlen stehen nicht mehr als einziges Szenario im Raum. Vielmehr wurden jüngst von allen im Parlament vertretenen Parteien andere Varianten öffentlich diskutiert: eine Minderheitsregierung, eine Übergangsregierung, eine Expertenregierung - und erst spätere Neuwahlen.

Als Hauptaufgabe gilt es, ein Budget zu verabschieden. Es muss einen Sanierungspfad aufzeigen, denn dem tief in einer Wirtschaftskrise steckenden Österreich droht ansonsten ein EU-Defizitverfahren.

Zu Beginn ihrer Koalitionsgespräche hatten sich FPÖ und ÖVP innerhalb weniger Tage auf Spar-Maßnahmen für 2025 geeinigt. Brüssel verzichtete daraufhin auf die Einleitung eines Defizitverfahrens - aber nur vorerst. 

Teils tiefgreifende Unterschiede zwischen FPÖ und ÖVP

Doch die Bündnisgespräche wurden von Unterschieden in außen- und sicherheitspolitischen Fragen überschattet. So waren die Rechtspopulisten gegen eine weitere Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland, das vor annähernd drei Jahren den Angriffskrieg gegen das Nachbarland gestartet hatte. Obendrein ist die FPÖ extrem EU-kritisch, die ÖVP dagegen tief überzeugt von den Vorteilen der Europäischen Union.

Knackpunkt: Andere Weltsicht von ÖVP und FPÖ

Insgesamt war in den rund vierwöchigen Gesprächen aber vor allem klar geworden, dass beide Parteien eine andere Weltsicht haben. Während die ÖVP auf die internationale Einbindung der kleinen Alpenrepublik setzt, hatte die FPÖ immer wieder ihren Slogan von der „Festung Österreich“ propagiert.

Die FPÖ-ÖVP-Bündnisgespräche waren schon der dritte Anlauf, in Österreich eine Regierung zu bilden. Zunächst versuchten ÖVP, sozialdemokratische SPÖ und liberale Neos, sich auf eine Dreierkoalition zu verständigen. Der Versuch scheiterte nach rund 100 Tagen. Die folgenden ÖVP-SPÖ-Gespräche wurden Anfang Januar sehr schnell beendet. 

Kickl gilt als notorischer Besserwisser

Schließlich gab Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ehemaliger Chef der Grünen in Österreich, schweren Herzens Kickl den Regierungsbildungsauftrag. ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer trat zurück, da er für sich eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen hatte. Als Parteichef folgte ihm der bisherige ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.

Kickl hat in den Koalitionsgesprächen möglicherweise nicht nur inhaltlich zu hoch gepokert, sondern ist auch an Charakterzügen gescheitert. Der Extremsportler - der 56-Jährige hat verschiedene Triathlons gemeistert - gilt als höchst misstrauischer Mensch, ohne die Gabe, vertrauensbildende Brücken zu bauen. Er tritt ohne einen Hauch von Selbstzweifel auf. Der FPÖ-Chef sei ein notorischer Besserwisser, sagt sein Biograf Gernot Bauer. „Es ist ihm ganz, ganz wichtig, Recht zu behalten.“

Parteien könnten Personal austauschen

Mit dem aktuellen Scheitern sind die Ambitionen Kickls sicher nicht begraben. Bei Neuwahlen könnte die FPÖ laut aktuellen Umfragen nun mit rund 34 Prozent rechnen. Bei der Parlamentswahl im Herbst 2024 waren es knapp 29 Prozent. Die SPÖ und die ÖVP kämen den Demoskopen zufolge auf jeweils etwa 20 Prozent. Die liberalen Neos liegen laut Umfragen bei etwa 10, die Grünen bei 9 Prozent.

Diese Umfragen könnten aber auf Sand gebaut sein. Denn viele Beobachter gehen davon aus, dass ÖVP und SPÖ ihr Spitzenpersonal in nächster Zeit auswechseln könnten. 

Weder Stocker noch der oft kritisierte SPÖ-Chef Andreas Babler sitzen fest im Sattel. Für die ÖVP könnte auch ein Altbekannter wieder versuchen, den Konservativen neue Popularität einzuhauchen: Ex-Kanzler Sebastian Kurz, seit seinem Rückzug aus der Politik Unternehmer, könnte dem Vernehmen nach mittelfristig wieder die politische Bühne betreten.