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Südkaukasusrepublik Streit um Georgien-Wahl: Regierungspartei zum Sieger erklärt

Die Südkaukasusrepublik Georgien hat bei einer Schicksalswahl auch über den EU-Kurs des Landes abgestimmt. Um das Ergebnis gibt es erbitterten Streit. Die prowestliche Opposition will nun kämpfen.

Von Katharina Schröder und Ulf Mauder, dpa Aktualisiert: 27.10.2024, 14:34
In Georgien haben die Menschen bei der Parlamentswahl über die Zukunft des Landes abgestimmt.
In Georgien haben die Menschen bei der Parlamentswahl über die Zukunft des Landes abgestimmt. Kostya Manenkov/AP/dpa

Tiflis - In der Südkaukasusrepublik Georgien in Nachbarschaft zu Russland streiten die prowestliche Opposition und die nationalkonservative Regierungspartei um das Ergebnis der Parlamentswahl. Die Wahlkommission erklärte die regierende Partei des reichsten und mächtigsten Mannes des Landes, Bidsina Iwanischwili, zur Siegerin mit rund 54 Prozent der Stimmen. Die verschiedenen Blöcke der proeuropäischen Opposition erkannten das Ergebnis nicht an. Internationale Wahlbeobachter und georgische Nichtregierungsorganisationen beklagten eine Vielzahl von Wahlrechtsverstößen.

Die prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili hatte nach der Veröffentlichung von Nachwahlbefragungen erklärt, dass die Opposition summarisch auf 52 Prozent der Stimmen komme und im Parlament eine prowestliche Mehrheit bilden könne. Dagegen sah die Wahlkommission die vier Oppositionsblöcke, die den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafften, nur bei über 37 Prozent. 

Iwanischwili präsentierte sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale bei einer Feier in Tiflis als Sieger, ohne dass aussagekräftige Ergebnisse vorlagen. Die traditionell gespaltene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung des in Moskau reich gewordenen Oligarchen noch stärker dem Nachbarn Russland zuwendet und endgültig von seinem EU-Kurs abkommt.

Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent - drei Prozentpunkte höher als 2020. Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt aber wegen umstrittener Gesetze auf Eis. 

Regierungspartei schürte Ängste vor Krieg mit Russland

Die Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf Frieden und Stabilität - und schürte Ängste vor einem Krieg mit Russland, sollte die Opposition gewinnen. Regierungschef Irakli Kobachidse wies Vorwürfe einer Wahlfälschung zurück. „Unser Sieg ist offensichtlich“, sagte er. Die Opposition habe auch bei den vergangenen Abstimmungen nie die Größe gehabt, ihre Niederlage einzuräumen. Die Partei Georgischer Traum regiert seit 2012. 

Kobachidse erhielt Glückwünsche zum Sieg vom ungarischen Regierungschef Viktor Orban und von den Nachbarn im Südkaukasus: von Aserbaidschans Staatschef Ilham Aliyev und Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan.

Oppositionsbündnisse wollen um Sieg kämpfen

Die prowestlichen Oppositionsbündnisse kündigten an, um den Sieg zu kämpfen. Sie sind zwar untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen. Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Michail Saakaschwili, Tinatin Bokutschawa. Ein Aktionsplan der Regierungsgegner werde abgestimmt. 

„Die Wahlen sind der Opposition gestohlen worden. Dies ist ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich und ein Missbrauch der Macht“, sagte Nika Gwaramia von der Koalition für den Wandel. Die Wahl sei gefälscht worden nach einem komplizierten technologischen Schema. Details nannte er nicht.

OSZE-Beobachter kritisieren Georgien-Wahl

Internationale und georgische Wahlbeobachter kritisierten eine Vielzahl von Verstößen. Das proeuropäische Bündnis Myvote aus verschiedenen Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen beklagte, das Ergebnis spiegele nicht den Wählerwillen wider.

Dagegen lehnten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) trotz mehrfach drängender Fragen von Journalisten ein Urteil dazu ab, ob der Urnengang fair und frei verlaufen sei. Sie verwiesen darauf, dass es 18 Kandidatenlisten auf den Wahlzetteln gegeben haben, darunter viele Oppositionsbündnisse. Sie beklagten aber demokratische Rückschritte im Vergleich zu früheren Abstimmungen auch bei der Wahlgesetzgebung.

Die OSZE-Mission zeigte sich besorgt über zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Die Experten beklagten unter anderem Fälle von Einschüchterung der Wähler, Druck auf Behörden, Gewalt gegen Beobachter, Stimmenkauf, Mehrfachabstimmungen und das Stopfen von Wahlzetteln in Urnen. Die OSZE forderte eine Untersuchung und mahnte weitere demokratische Reformen an.

Zugleich lobte Missionschef Pascal Allizard die „demokratische Vitalität“ in dem Land und sicherte weitere Hilfe auf dem Weg des Landes in die EU zu. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert gewesen, sagte der Franzose. Auch andere Beobachter hoben hervor, dass die Zivilgesellschaft insgesamt stark präsent gewesen sei, um die Stimmabgabe und die Auszählung zu kontrollieren.

EU wirft Georgiens Regierung antieuropäischen Kurs vor 

Die Regierung macht die bislang größte Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili für den Krieg mit Russland im Jahr 2008 verantwortlich und will sie verbieten. Russland erkannte damals die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten an. So verlor Georgien 20 Prozent seines Staatsgebiets.

Die EU wirft der Führung des Landes einen antieuropäischen Kurs vor, auch Menschenrechtler beklagten autoritäre Tendenzen. So hatte die Regierung trotz massiver Proteste Gesetze durchgesetzt, wie es sie ähnlich auch in Russland gibt - darunter eines zur Kontrolle der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Medien aus dem Ausland, das angebliche Einflussnahme von außen verhindern soll. Auch die Rechte von Schwulen, Lesben und anderen sexuellen Minderheiten wurden beschnitten - zum Wohlgefallen der georgisch-orthodoxen Kirche, die in dem Land weiter großen Einfluss hat.