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Entwicklungen Wojahn: "Die EU wirkt in jedem Dorf"

Jörg Wojahn, EU-Kommissionsvertreter in Berlin, im Gespräch über Fördermittel, Russland und den Brexit.

Von Steffen Honig 22.11.2019, 00:01

Magdeburg l Die EU-Kommission formiert sich neu. Auch die Vertretung in Deutschland hat seit September einen neuen Chef: den Juristen Jörg Wojahn. Er stand uns Rede und Antwort:

Die EU-Skepsis in Deutschland, speziell im Osten, ist gewachsen. Wie versuchen Sie, die Leute wieder mehr für den europäischen Geist einzunehmen?
Jörg Wojahn: Die Europawahlen haben uns einen Schub gegeben. Sie haben gezeigt, dass das Interesse an Europa bei aller Skepsis groß ist. Europa ist den Menschen wichtig. Umso mehr haben wir die Verantwortung, gemeinsam mit den deutschen Politikern Europa zu erklären. Denn die Europäische Union wirkt nicht nur in Brüssel oder Berlin, sondern in jedem Dorf. So werden Schulen in Sachsen-Anhalt mit EU-Geldern renoviert, der Breitbandausbau gefördert oder die Lücken der Autobahn 14 geschlossen. Es geht aber nicht nur um Fördergelder. Die Menschen spüren, dass wir die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung oder die alternden Gesellschaften nicht alleine lösen können, das können wir Europäer nur gemeinsam schaffen.

Die EU hat viele Baustellen. Eine ist fast vollendet: der lange umstrittene Haushalt für 2021. Strukturförderung ist einer der Hauptposten. Was wird Sachsen-Anhalt davon haben?
Sachsen-Anhalt erhält in der laufenden Förderperiode von 2014 bis 2020 über 2 Milliarden Euro aus den EU-Regional- und Sozialfonds, das gibt den Menschen und Unternehmen in der Region natürlich wichtige Impulse. Gerade laufen die Verhandlungen für den nächsten EU-Haushalt ab 2021. Wichtig ist, dass auch in der künftigen Förderperiode bis 2027 die deutschen Länder grundsätzlich weiter Fördermittel bekommen. Das war nicht sicher. Ursprünglich wurde diskutiert, ob in den reicheren Mitgliedsstaaten überhaupt noch etwas gefördert werden soll. Es gibt in der EU Regionen, die viel ärmer sind als Sachsen-Anhalt. Trotzdem sind sich die EU-Staaten einig, überall Strukturförderung zu betreiben. Denn es gibt weiter Nachholbedarf auch in Deutschland, im Osten genauso wie übrigens in einigen Regionen im Westen, etwa dem Ruhrgebiet.

Können Sie mit konkreten Zahlen dienen?
Nein, die genauen Summen hängen von den noch laufenden Verhandlungen ab.

Sachsen-Anhalt hat einen starken Agrarsektor. Gibt es Änderungen bei den Landwirtschaftssubventionen?
Landwirtschaft wird weiter gefördert, dazu hat sich die EU-Kommission klar bekannt. Schon deshalb, weil Landwirtschaftspolitik einschließlich Förderung nur auf EU-Ebene betrieben wird. Auch hier wird darüber gestritten, wie viel Geld fließen soll. Die Kommission hat leichte Kürzungen vorgeschlagen. Das ist auch nötig, solange wir nicht insgesamt erheblich mehr für die EU zahlen wollen. Schließlich gibt es neue Herausforderungen: Wie soll ein europäischer Grenzschutz aufgebaut werden, wenn kein Geld da ist?

Aber der Haushalt ist im nächsten Jahr um 1,5 Prozent auf 168,7 Milliarden Euro gegenüber 2019 gewachsen.
Neben dem Inflationsausgleich ist der Haushalt tatsächlich gewachsen. Dies dient vor allem dazu, die Klimapolitik voranzutreiben.

In der EU gibt es Streit über den Russland-Kurs. Frankreichs Präsident Macron tritt für eine Änderung der Sanktionspolitik ein, wie sie von der ostdeutschen Wirtschaft seit langem gefordert wird. Die Bundesregierung wie die EU-Kommission sind dagegen. Wie lange ist das noch haltbar?
Hier muss man fragen, wie wichtig Russland als Wirtschaftspartner für Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Regionen tatsächlich ist. Viel wichtigere Partner für das Bundesland sind andere EU-Länder, bei den Exporten rangiert ganz vorn Polen vor Großbritannien und den Niederlanden. Russland folgt hier erst auf Platz 14. Die EU-Sanktionen betreffen in erster Linie Oligarchen, russische Großbanken und Waffenhändler. Weil Russland in der Ukraine einmarschiert ist und dort völkerrechtswidrig Territorium besetzt hat. Morgen passiert das vielleicht in einem unserer Mitgliedsstaaten. Das können wir nicht akzeptieren. Die Wirtschaftszahlen zeigen, dass wegen dieser Sanktionen niemand darben muss in der EU. Und sie zeigen auch, dass Landwirte und innovative Unternehmer aus Sachsen-Anhalt andere Märkte haben, von denen sie profitieren. Das unterstützt die EU durch Freihandelsabkommen wie jüngst mit Japan und Kanada. Gerade der riesige japanische Markt bietet gewaltige Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte.

Der Brexit wirft seine Schatten voraus: Die gravierenden Arzneimittelengpässe in Deutschland bestehen auch deshalb, weil die Briten Medikamente horten. Auf welche Mängel müssen sich die Bürger bei uns noch einstellen?
Die großen Unternehmen sind gut vorbereitet. Aber gerade kleinere Firmen werden anfangs sehr stark mit der Bürokratie zu tun haben. IHK und Wirtschaftsministerium können zwar helfen, Anlaufschwierigkeiten werden jedoch unvermeidlich sein.

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die EU zu einem globalen Machtfaktor entwickeln. Wie soll das militärisch unterfüttert werden?
Die Verteidigung wird auch künftig durch die Nato gewährleistet. Dort ist Deutschland eng eingebunden. Auf EU-Ebene gibt es dennoch einiges zu verbessern, vor allem bei der Beschaffung von Rüstungsgütern. Im Moment gibt es eine Vielzahl von Waffensystemen. Jedes Land kauft seine eigenen Produkte. Davon profitieren nur die Unternehmen. Wir müssen nicht fünf verschiedene Drohnen entwickeln. Das können wir auch gemeinsam. Was wir sowieso anschaffen müssen, wollen wir günstiger bekommen. Bei zivilen Flugzeugen hat die EU das auch geschafft.

Ist dies die Vorstufe einer europäischen Armee?
Eine europäische Armee ist etwas für die ganz, ganz ferne Zukunft. Daran arbeitet im Augenblick niemand.