Treffen von Millionen vor 40 Jahren in Berlin trug "Woodstock"-Charakter. Von Steffen Honig Trotz Ulbricht-Tod gehen Weltfestspiele weiter
Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin waren ein für die DDR einmaliges Ereignis. Als mittendrin der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht starb, wurde das Massentreffen nicht unterbrochen. Ulbricht wurde danach beigesetzt.
Als weltoffenes Land wollte Erich Honecker die Deutsche Demokratische Republik im Sommer 1973 der Weltjugend präsentieren. Seit zwei Jahren ist Honecker 1. Sekretär des ZK der SED. Nun hat er Gelegenheit, eine tolerante Republik zu präsentieren, die dabei ist, frühere politische Engen zu überwinden.
Bei der Auftaktfeier der Jugendfestspiele hielt Honecker am 28. Juli im Stadion der Weltjugend die Eröffnungsrede. Das Motto des Festivals hieß: "Für antiimperialistische Solidarität, Frieden und Freundschaft". 25600 Jugendliche aus 140 Ländern waren in Ost-Berlin dabei, die 1700 nationale und 18 internationale Jugendvereinigungen vertraten, darunter auch Abordnungen aus der Bundesrepublik. Insgesamt soll die Besucherzahl in den Festivaltagen bei rund acht Millionen Menschen gelegen haben.
Happening in der City
Was sich dann bis zum 5. August abspielte, hatte die DDR so noch nicht erlebt. Die Ost-Berliner Innenstadt erlebte ein Riesen-Happening. Tag und Nacht herrschte hier Bewegung. Das Programm beschränkte sich nicht auf propagandaträchtige Manifestionen wie die Großkundgebung "Die Jugend der DDR grüßt die Jugend der Welt".
Es wurde diskutiert, gesungen und gefeiert - in vielen Sprachen und in unterschiedlichen politischen Farben. Von "Woodstock des Ostens" war später die Rede. Das Festival atmete einen Freiheitsgeist, wie er bis zur Wende nicht mehr zu erleben war. So begeisterten unter anderem die Band Renft (die wenig später in den Westen ging) und Manfred Krug (der nach der Biermann-Ausbürgerung ebenfalls die DDR verließ) die Besucher. Insgesamt gab es 95 Bühnen für Rock- und Beatkonzerte oder Auftritte von Singeclubs.
Freiheit hat Grenzen
Die Freiheit hatte freilich ihre Grenzen: Das Ministerium für Staatssicherheit überwachte unter dem Decknamen "Aktion Banner" das Festival-Geschehen und setzte dafür 4260 hauptamtliche Mitarbeiter ein. Zudem sorgten fast 20000 Volkspolizisten für Sicherheit, einige NVA-Einheiten waren in Alarmbereitschaft versetzt worden. Um Störungen bei den Weltfestspielen vorzubeugen, wurden allein mehr als 2000 Menschen verhaftet.
Die 800 westdeutschen Jugendlichen, die nach Ost-Berlin kamen, gehörten unterschiedlichen Strömungen an, vom Sozialistischen Hochschulbund über die Deutsche Esperanto-Jugend bis zu den Jungdemokraten reichte die Spannbreite. Um für Diskussionen mit den bundesdeutschen Gästen gewappnet zu sein, hatte es zuvor Schulungen für die FDJ-ler aus der DDR gegeben. Dies und die Restriktionen im Hintergrund trübten die lockere, ausgelassene Atmosphäre der Tage von Berlin nicht.
Ein anderes Ereignis schon: Am 1. August starb der 80-jährige DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht, von der Papierform her der oberste Repräsentant der DDR. Die Macht hatte allerdings Parteichef Erich Honecker. Der sterbende Ulbricht, ließ die Parteiführung verbreiten, habe geäußert, es sei "sein Wunsch, dass das Festival, das so großartig und eindrucksvoll begonnen hat, erfolgreich zu Ende geführt werden möge, falls das Schlimmste für ihn eintrete ..." Damit war die Entscheidung der DDR-Führung legitimiert, die Weltfestspiele nicht wegen der Trauerfeierlichkeiten abzubrechen und das Staatsbegräbnis auf den 7. August zu legen.
Die letzte Ehre für Ulbricht, der mehr als 20 Jahre lang die DDR geführt hatte und dann zur Unperson wurde. Seine eigenständige Wirtschaftspolitik war von der Sowjetunion beargwöhnt worden, auch die Beziehungen zur Bundesrepublik sah er anders als Moskau und Teile der SED-Führung.
"Kronprinz" stieg auf
Der von ihm aufgebaute "Kronprinz" Erich Honecker setzt schließlich seine Absetzung mit dem Segen von Kremlchef Leonid Breshnew durch. Im Mai 1971 wird Ulbricht genötigt, als Erster ZK-Sekretär zurückzutreten. Er darf aber Staatsratschef bleiben.
Honecker hingegen wird kurz darauf auf dem VIII. Parteitag als neuer Parteichef inthronisiert. Er rechnet mit Ulbrichts Politik ab und lässt die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" beschließen. Renten und Löhne werden erhöht und ein gigantisches Wohnungsbauprogramm aufgelegt.
Leisten kann sich die DDR das nur, indem sie sich nach und nach hoffnungslos verschuldet. 16 Jahre nach den Weltfestspielen teilte Honecker, der die DDR fast in die Pleite geführt hatte, Ulbrichts politisches Schicksal. Die Genossen im SED-Politbüro stürzten ihren Generalsekretär am 17. Oktober 1989. Das Ende der DDR ließ sich dadurch nicht mehr verhindern.