Segelflugprojekt Windsurfen in extremer Höhe
Ein einzigartiges Segelflugzeug soll künftig der Klimaforschung dienen - 30 Kilometer über dem Boden.
Magdeburg l Fast 20 Kilometer, so hoch wie kein anderes unmotorisiertes Flugzeug, flogen Anfang September zwei Piloten mit einem Spezial-Segelflugzeug: Eine außergewöhnliche Leistung, aber nach oben ist noch viel Luft. Schon im kommenden Jahr soll der Wind die Segelflieger bis in 30 Kilometer Höhe tragen.
„Perlan 2“ ist kein gewöhnliches Segelflugzeug, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht: Ein aerodynamischer, rund zehn Meter langer Rumpf, zwei schmale Tragflächen von 25,6 Meter Spannweite und mit einem Gewicht von nur 680 Kilogramm rund halb so schwer wie ein Kleinwagen vom Typ VW Golf TDI. Möglich macht das eine fast hundertprozentige Konstruktion aus extrem belastbaren Kohlefaserverbundwerkstoffen.
Größter Unterschied zu normalen Segelflugzeugen ist die zweisitzige Pilotenkanzel. Bei „Perlan 2“ wurde sie durch eine Druckkabine, ähnlich der in Passagierflugzeugen, ersetzt. Die Kanzel mit Druckausgleich ist notwendig, da sonst bereits in rund 20 Kilometern Höhe das Blut bei normaler Körpertemperatur zu kochen beginnt.
„Perlan-Projekt“ heißt eine Nonprofit-Organisation zur Luftfahrt- und Atmosphärenforschung. Sie ist das geistige Kind des ehemaligen Nasa-Testpiloten Einar Enevoldson und des US-Multimillionärs Steve Fossett. Vor zwölf Jahren drangen sie mit dem Segelflugzeug „Perlan 1“ erstmals bis in 15,46 Kilometer Höhe vor. Höher hinaus durfte „Perlan 1“ nicht fliegen, weil die Pilotenkanzel noch keine Druckkabine hatte. Fossett, der 2002 als erster Mensch in einem Ballon alleine die Welt umrundete, unterstützte finanziell das Perlan-2-Folgeprojekt. Als er sechs Jahre später mit einem Propellerflugzeug in der Sierra Nevada tödlich verunglückte, bedeutete das auch einen Rückschlag für das Projekt des Höhenseglers. Glücklicherweise sprang der europäische Airbus-Konzern als Hauptsponsor ein und ermöglichte so den Bau von „Perlan-2“.
Dass Menschen mit einem motorlosen Gleiter bis in die Stratosphäre vordringen können, galt bis in die 1990er Jahre als unwahrscheinlich. Dann entdeckte eine Forschergruppe um den Meteorologen Wolfang Renger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen ein bislang unbekanntes atmosphärisches Phänomen: sogenannte stratosphärische Bergwellen. Wer so eine Welle erwischt, kann bis in Höhen von etwa 30 Kilometer aufsteigen.
Die besten Chancen, auf stratosphärischen Bergwellen „zu surfen“, bestehen in den patagonischen Anden, im Süden Argentiniens. Im August und September starteten die beiden US-amerikanischen Piloten Jim Payne und Tim Gardner mit „Perlan-2“ mehrmals vom Armando-Tola-Flugplatz der argentinischen Kleinstadt El Calafate, um den seit zwölf Jahren bestehenden Segelflug-Höhenrekord von Enevoldson und Fossett zu brechen.
Dazu schleppte ein in Bayern gebautes Motorflugzeug mit Propellerturbine den „Perlan 2“-Gleiter auf eine Höhe von fast 3000 Meter. Nach dem Ausklinken suchten die Segelflieger-Piloten mit Hilfe einer speziellen Laserradar-Technik (LIDAR) nach Wellenaufwinden, auf denen sie noch höher in die Stratosphäre gelangen konnten. Nicht bei jedem Flug hatten sie Glück. Am erfolgreichsten waren Payne und Gardner am 28. August und am 3. September. Die FAI (Internationale Aeronautische Vereinigung) bestätigte eine neue Rekordhöhe von 19,9 Kilometer. Noch inoffiziell ist eine am 3. September vom Team ermittelte Flughöhe von 23,2 Kilometer (Luftdruck gemessen).
Über den bestätigten Höhenrekord freut sich auch der inzwischen 86-jährige Perlan-Projektgründer Einar Enevoldson. Dabei sei nicht entscheidend, im Guinness Buch der Rekorde zu stehen. Vielmehr will das Projektteam während der Höhenflüge Messdaten für Klimaforscher und praktische Erfahrungen für den Bau künftiger Höhenflugzeuge sammeln. Am Projekt sind deshalb mehrere Universitäten und Institute in den USA und Argentinien beteiligt. Auch die Nasa erhofft sich von den Höhenforschungen nützliche Erkenntnisse.
Im August 2019, wenn die atmosphärischen Bedingungen in den Süd-Anden es erlauben, soll es wieder hinausgehen. „Nach oben ist noch Luft“, heißt das Motto im echten wie im übertragenen Sinn. Das Ziel sind 90.000 Fuß, entsprechend einer Flughöhe von etwa 27,4 Kilometer.
Der bisherige Höhenrekord im Horizontalflug liegt seit über zwei Jahrzehnten bei knapp 26 Kilometer, aufgestellt mit dem US-amerikanischen Spionageflugzeug Lockheed SR-71 „Blackbird“. Fast zehn Kilometer höher konnte für wenige Minuten nur eine speziell umgerüstete MIG-27 auf einer Parabelflugbahn aufsteigen.