Onlineversandhändler Amazon löscht Video: Winziger "Schrank der Verzweiflung" für gestresste Lagerarbeiter sorgt für Shitstorm
"AmaZen" sollte eigentlich die Oase für gestresste Lagerarbeiter werden. Doch nicht alle waren von diesem Erholungsangebot begeistert.

Washington - Am 17. Mai kündigte der Großkonzern Amazon das "Working Well"-Programm für seine US-Angestellte an, eine Mischung aus "körperlichen und geistigen Aktivitäten, Wellnessübungen und Unterstützung für gesunde Ernährung, teilte der Onlineversandhändler in der Pressemitteilung mit.
Ein Teil des Gesundheitsprojektes ist oder eher war der sogenannte "Mindful Practice Room", in der Lagerarbeiter sich "beruhigende Szenen und Geräusche anhören können", während ein kleiner Ventilator für frische Luft sorgt. Der "ZenBooth", wie er auch genannt wurde, sollte gestresste Angestellte helfen, wieder Energie für die weitere Logistikarbeit zu tanken.
Praxis der ganzheitlichen, geführten Achtsamkeit
Dafür wurde die Box, die einer Telefonzelle gleicht, mit PC-Meditationsprogramme und Pflanzen ausgestattet. Das Licht ist blau getönt. Broschüren und Schilder schmücken die Wände, wie ein Amazon-Video kurz vorstellt.
"Für mich geht es bei AmaZen um die Praxis der ganzheitlichen geführten Achtsamkeit", sagte die Designerin Leila Brown in einer Darstellung des Konzerns. Erste Pilotversuche hätten gezeigt, dass Mitarbeiter nach einem Aufenthalt in der winzigen Zelle fokussierter zur Arbeit zurückkehren würden.
Amazon löscht Vorstellungsvideo von "AmaZen"
Den Tweet des Amazon-Accounts und das zugehörige Video hat der Konzern jedoch wieder gelöscht, nachdem es von etlichen Nutzern massive Kritik hagelte.
"Amazons Leila Brown nutzte ihren beruflichen Hintergrund aus der Sportmedizin und ihre Leidenschaft für alternative Therapien, um einen Raum zu schaffen, wo die Mitarbeiter sich auf ihre mentale Gesundheit konzentrieren können", hieß es in dem gelöschten Tweet.
Eine Twitter-Userin bezeichnete die AmaZen gar als "Schrank der Verzweiflung". "Ich habe das Gefühl, dass lebenswerte Löhne und Arbeitsbedingungen besser sind als ein mobiler Verzweiflungsschrank", kritisiert sie.
Das Motherboard-Magazin von VICE hat sich an Amazon gewandt, um herauszufinden, wann genau das überarbeitete Personal den AmaZen-Stand nutzen soll. "Ist es während ihrer notorisch kurzen Pausen? Sollten sie fünf Minuten ihres Mittagessens unterbrechen, um auf einen anderen Amazon-Computerbildschirm zu starren?"
Laut dem VICE-Bericht, habe sich der Großkonzern bisher nicht dazu geäußert. Auch auf die Bitte der BBC um Stellungnahme wurde nicht geantwortet.
Auf Volksstimme-Nachfrage äußerte sich ein Pressesprecher von Amazon-Deutschland, dass sie zu diesem US-"AmaZen"-Projekt keine Stellungnahme abgeben können.
"Pinkeln in Flaschen"-Eklat bei Amazon
Die Arbeitsbedingungen beim weltgrößten Onlinehändler Amazon stehen schon seit Längerem immer wieder im Fokus der Kritik. Im April 2021 räumte der Konzern von Multimilliardär Jeff Bezos in einer Mitteilung ein, dass Lieferfahrer mitunter keine Toiletten fänden und bestätigte somit erstmals Berichte, wonach Mitarbeiter unter hohem Zeitdruck im stressigen Arbeitsalltag in Flaschen urinieren. Dass dies zunächst über einen offiziellen Twitter-Account von Amazon abgestritten wurde, sei ein "Eigentor" gewesen.
"Mitarbeitern 15 Dollar Stundenlohn zu zahlen, macht einen nicht zu einem 'fortschrittlichen Arbeitsplatz'."
Marc Pocan
Der Konflikt hatte zuvor mit einem kritischen Tweet des Abgeordneten Marc Pocan von der demokratischen Partei begonnen: "Mitarbeitern 15 Dollar Stundenlohn zu zahlen, macht einen nicht zu einem 'fortschrittlichen Arbeitsplatz', wenn man gegen Gewerkschaften vorgeht und Beschäftigte in Wasserflaschen urinieren".