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Arbeitsmarkt Wie Künstliche Intelligenz das Callcenter-Geschäft verändert

Die Beschäftigung werde abnehmen, sagt eine Forscherin. Der Branchenverband registriert einen Rückgang des Massengeschäfts. Und ein deutsches Start-up wirbt mit KI-Agenten, die auch anrufen.

Von Lukas Müller, dpa 04.03.2025, 06:00
Eine Mitarbeiterin arbeitet in einer Telefonzentrale. (Archivbild)
Eine Mitarbeiterin arbeitet in einer Telefonzentrale. (Archivbild) Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg - Verschwundene Pakete, verschobene Flugreisen und verlorene Bankkarten: Ohne die Hilfe von Callcenteragenten wären solche Ärgernisse deutlich lästiger. Und wer sich zuletzt über einen Callcentermitarbeiter geärgert hat, könne ihn schon bald vermissen. Denn Branchenkennern zufolge wird Künstliche Intelligenz (KI) in Callcentern weiter an Bedeutung gewinnen. Das hat Folgen. 

So rechnet die Ökonomin Marie-Christine Fregin von der Universität Maastricht mit abnehmender Beschäftigung in dem Wirtschaftszweig. KI könne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produktiver machen, was den Arbeitskräftebedarf senke, und schließlich ganz ersetzen. „Die Frage ist, ob in den Callcentern in Zukunft noch Menschen sitzen werden“, sagt Fregin. Letztlich sei das eine Entscheidung der Unternehmen. 

Dass Callcenter schließen, kommt immer wieder vor. Zuletzt kündigte der deutsche Onlinehändler Otto an, rund 480 Mitarbeiter des Kundenservices zu entlassen. Das Unternehmen aus Hamburg begründete das mit verschärftem Wettbewerb und schlechter Konjunktur. Aber auch mit einem veränderten Verhalten der Kunden, die weniger anriefen und Rücksendungen bevorzugt über die App abwickelten. 

Unterschiedliche Aufgaben im Callcenter

Wie viele Menschen in Deutschlands Callcentern arbeiten, ist nicht genau erfasst. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gab es 2023 annähernd 127.000 Fachkräfte im sogenannten Dialogmarketing, dazu zählen Callcenteragenten. Der Branchenverband CCV aus Berlin gibt die Beschäftigtenzahl mit etwa 560.000 an, weil er auch Mitarbeiter von Unternehmenscallcentern hinzuzählt. 

Verbandspräsident Dirk Egelseer erzählt, die Aufgabenverteilung im Callcenter ähnle einer Pyramide: Die meisten Beschäftigten führten Routinetätigkeiten aus, zu denen es gehöre, Fragen wie „Wo ist mein Paket?“ wieder und wieder zu beantworten. Weiter oben gebe es die länger geschulten Mitarbeiter, die komplexe Aufgaben wie Bankgeschäfte übernähmen. Sie müssten mehrere IT-Systeme bedienen und könnten die Probleme der Kunden nicht mit Standardsätzen lösen. 

Egelseer, der zur Geschäftsführung eines Nürnberger Callcenters gehört, erwartet wie die Wissenschaftlerin Fregin, dass Automatisierung das Geschäft verändert. Dass alle Mitarbeiter von dem Umbruch bedroht seien, glaube er aber nicht. Er beobachte vielmehr eine gegensätzliche Entwicklung: Die Nachfrage nach dem einfachen Massengeschäft nehme ab, während der Bedarf an komplexen Dienstleistungen steige. 

KI kann auch anrufen 

Eine zentrale Frage ist, ob KI allein das Massengeschäft ersetzen wird, wie Egelseer vermutet. Wissenschaftlerin Fregin bewertet das anders: Sie geht davon aus, dass KI auch komplexe Dienstleistungen in den Callcentern übernehmen kann. Das liege an sogenannten KI-Agenten. 

Das sind Anwendungen, die nicht nur Informationen bereitstellen - beispielsweise nicht bloß antworten, wo sich ein Paket befindet. Die Agenten können Formulare senden, mit anderen Bereichen des Callcenters schreiben und Kunden anrufen, um Produkte zu vertreiben. Also eigenständig handeln. KI-Agenten seien allerdings bisher nicht weit verbreitet, schränkt Fregin ein. 

Ein Anbieter von KI-Agenten ist das Berliner Start-up Parloa. Wie das Unternehmen mitteilt, können dessen Agenten auch Anrufe tätigen. „Wenn jemand beispielsweise einen Flug gebucht hat und kurz vor der Reise noch Plätze in besseren Kategorien frei sind, können AI Agents kurz vorher noch gute Angebote für Upgrades machen.“

Die Zahl der Kunden nennt Parloa nicht; sie nehme aber zu. Die Kunden stammten vor allem aus dem Finanz- und Versicherungssektor, dem Einzel- und Onlinehandel und der Energieversorgung - unter anderem seien darunter Barmenia Gothaer, Rossmann und Eon One. Unternehmen, die die Plattform von Parloa nutzen, zahlen den Angaben nach jährlich mindestens 100.000 Euro. 

Mehr Geld für weniger Mitarbeiter

Da KI zunehmend mehr kann, stellt sich die Frage: Wer wird in Zukunft in Callcentern tätig sein? Aus Sicht der Wissenschaftlerin Fregin ist realistisch, dass künftig deutlich weniger, dafür aber besser bezahlte Menschen in Callcentern arbeiten. Diese führten häufiger komplexe Tätigkeiten aus, weil die einfachen Aufgaben automatisiert seien. „Komplexere Jobs sind oftmals Jobs für andere Menschen“, sagt Fregin. Ähnlich äußert sich Verbandschef Egelseer. 

Bei der Gewerkschaft Verdi in Berlin ist Volker Nüsse für Callcenter zuständig. Er berichtet, die Arbeit verlagere sich zunehmend weg vom Callcenter ins Homeoffice. Gewerkschaftsmitglieder setze das unter Druck, weil sie sich bei der bestehenden Gesetzeslage schwerlich organisieren könnten. Die Situation der Beschäftigten gerate während des Umbruchs völlig aus dem Blick. Sie müsse aber dringend berücksichtigt werden.