Platon-Maut Russlands wütende Fernfahrer
Das Mautsystem "Platon" sorgt für Proteste unter Russlands Fernfahrern. Das beeinflusst sogar die Präsidentenwahl.
Moskau l Kaum einer bezweifelt, dass Wladimir Putin zur Präsidentschaftswahl in Russland am 18. März auf seine vierte Amtszeit zusteuert. Trotzdem drängen etliche Kandidaten aufs Feld, die noch nicht einmal wissen, ob sie die Hürden für die Zulassung nehmen. Für manche zählt allein der Versuch – als letztes Mittel, um Problemen im Land Gehör zu verschaffen. Das Beispiel der Fernfahrer.
Noch im Frühjahr 2017 schlug ihre Aktion hohe Wellen. Mehrere Tausend Fernfahrer streikten in Russland und legten auf diese Weise zahlreiche Transportrouten lahm, um auf ihre schwierige Situation aufmerksam zu machen. Drei Monate ließen sie die Laster entweder zu Hause oder standen landesweit an den Trassen und auf Parkplätzen still. Leute aus der Nähe brachten Lebensmittel vorbei. Zum Jahresende gingen die Kraftfahrer noch einen Schritt weiter: Mit einem Ausstand wollten sie im Dezember die Registrierung von Andrej Baschutin zum Kandidaten für die nun bevorstehende Präsidentschaftswahl in Russland begleiten. Baschutin ist Vorsitzender der OPR, einer „Vereinigung der Transportfahrer in Russland“, die sich als Sprachrohr jener Fahrer versteht, die ihren Unmut ausdrücken wollen.
Auslöser ist das noch relativ junge Mautsystem „Platon“, das auf Ablehnung stößt. Durch die Gebühren sehen sich die Fahrer zusätzlich geschröpft, als kleine Mittelständler und teils Einzelunternehmer in ihrer Existenz bedroht. Wobei sich die Proteste im Kern mittlerweile gegen die grassierende Korruption und Vetternwirtschaft insgesamt richten.
Der Dezember-Streik sollte wieder ein Licht auf die Probleme werfen. Doch es kam anders, als sie sich das vorgestellt hatten: Noch bevor der Streik im Dezember begann, erklärte das russische Justizministerium die Vereinigung OPR überraschend zum „ausländischen Agenten“, offiziell weil Spenden aus dem Ausland eingegangen waren. Kurz darauf wurde Baschutin festgenommen, der Vorwurf lautete Fahren ohne Führerschein. Erst zwei Wochen später kam er wieder auf freien Fuß. Wie um den Jahreswechsel bekannt wurde, hält er sich seitdem versteckt. Es heißt, er wolle seine Kandidatur vorantreiben und sie offiziell machen.
Das dürfte nicht einfach werden, denn schon der Dezember zeigte, wie schwer es für die Fernfahrer ist, eine Bewegung unter so schwierigen Bedingungen am Leben zu halten: Viele Fernfahrer waren wie geplant in den Streik gegangen. Doch es entwickelte sich nicht zu einem Phänomen, das größere Massen mitreißen konnte wie noch im Frühjahr oder im Herbst 2015, als sie schon einmal regelrecht für Aufruhr im ganzen Land gesorgt hatten. Diesmal gab es deutlich weniger Resonanz.
Doch warum gehen Behörden plötzlich überhaupt gegen ihre Transportvereinigung vor? Es ist seit gut zwei Jahren so, dass es vermehrt Sozialproteste in Russland gibt. Soziologen dokumentieren das regelmäßig. Vielfach sind die Aktionen demnach durch die wirtschaftlichen Turbulenzen sowie Ölpreis- und Rubelverfall katalysiert.
Es demonstrieren Arbeiter, die mit ihren Gehältern hingehalten werden, Bankkunden beschweren sich lautstark, weil sie ihr Geld nicht wiedersehen, betrogene Wohnungseigentümer gehen wütend auf die Straße, weil sie vorinvestiert haben, ihre Hochhäuser aber nicht fertig gebaut werden. Allesamt kleine, regionale Phänomene, trotzdem auffällig viele. „Sie sind aber ungefährlich für die Staatsmacht“, sagt Ökonomin und Soziologin Natalia Subarewitsch. In dieser Form begannen sich auch zahlreiche Fernfahrer für ihr Anliegen zu organisieren, entwickelten mit ihren Megastreiks allerdings ganz andere, weitreichende Dimensionen.
Wobei sich aus ihrem ursprünglichen Ziel, ihre wirtschaftliche Not zu lindern, längst knallharte politische Forderungen schälen. Das unterscheidet sie von den kleineren Protesten anderer Gruppen: Sie wollen im großen Maßstab etwas ändern, den Mittelstand stärken, Korruption nicht länger als gegeben hinnehmen. In diesem Licht ist auch die Ambition zur Präsidentschaftskandidatur ihres Mannes Andrej Baschutin zu sehen, der auf der politischen Landkarte Russlands ein Nobody ist und in diesen Tagen um eine Chance im politischen Wettbewerb kämpft. Die Währung, die das Kandidatenfeld zur Präsidentschaftswahl für unbedeutende Anwärter wie ihn bereithält, ist allerdings eine andere. Sie heißt: Aufmerksamkeit. Bisher fühlen sich die Fahrer ungehört.
Was den politisch aktiven Fernfahrern besonders sauer aufstößt: Als einer der größten Profiteure des Mautsystems, gegen das sie rebellieren, gilt der Putin-Freund Arkadi Rotenberg. In einem Interview mit der „Nowaja Gaseta“ sagte Andrej Baschutin noch im Oktober, im Kampf gegen „Platon“ gehe es nicht nur um ihr eigenes Geld. „Es schlägt bei jedem einzelnen Bürger zu Buche.“ Auf ihren Autos haben beteiligte Fernfahrer nun auch Plakate mit Baschutin Gesicht gedruckt. Die Losung dazu: „Die Zukunft liegt in den eigenen Händen. Bist Du dabei?“