Syrien-Konflikt Das Islamismus-Projekt Erdogans
Der Nahostexperte Kamal Sido aus Syrien beantwortet im Interview Fragen über den Krieg in seiner Heimat.
Magdeburg l Kamal Sido stammt aus Syrien und ist Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er spricht über den Syrienkonflikt und die Rolle der Türkei.
Mit der Schlacht um Ost-Ghuta erlebt Syrien ein weiteres bitteres Kapitel des Krieges. Wie könnte es geschlossen werden?
Kamal Sido: Zunächst muss der Waffenstillstand eingehalten werden, damit die Bevölkerung versorgt werden kann. Dafür ist der russische Präsident Wladimir Putin verantwortlich.
Auch die Rebellen haben eine Aktie daran, dass die Gewalt nicht endet.
Ja, die Rebellen müssen aufhören, die Menschen in Damaskus zu beschießen. Eines muss man klar sagen: Bei diesen Rebellen handelt es sich um Islamisten.
Was muss geschehen, damit die Waffen dort dauerhaft ruhen?
Es muss einerseits mehr Druck auf Putin geben, auch von deutscher Seite, damit die Luftangriffe aufhören. Außerdem müssen die Türkei und Saudi-Arabien auf die Rebellen. Die Zivilbevölkerung hat die Nase voll von diesen Kämpfen.
Wie ist das Verhältnis der Bevölkerung zu den Rebellen? Gibt unter den Kämpfern gegen Baschar al-Assad überhaupt noch progressive Kräfte?
Progressiv sind die SDF, die Syrischen Demokratischen Kräfte im Nordosten Syriens. Darin kämpfen Araber und Kurden zusammen, die von den USA unterstützt werden. Sie kontrollieren etwa 30 Prozent des Landes. Ziel dieser Allianz ist ein freies und demokratisches Syrien. Die Freie Syrische Armee hingegen gibt es nicht mehr. Sie ist heute ein Deckmantel für islamistische Gruppierungen. Diese wollen allesamt die Scharia in Syrien einführen. In den Gebieten, wo die Islamisten herrschen, dürfen die Frauen nicht ohne Vollverschleierung auf die Straße. Dort leben keine Christen mehr, sie sind alle geflüchtet.
Ist das nicht schlimmer als das Assad-Regime?
Das stimmt und deswegen sagen viele, dass mit der Absetzung Assads gewartet werden sollte, bis es eine demokratische Alternative gibt. Die könnte sich aus Gesprächen der SDF und Teilen des Regimes ergeben. Das System kann reformiert werden. Die Islamisten kann man hingegen nur an diesem Prozess beteiligen, wenn sie ihren radikal sunnitischen Kurs aufgeben sollten. Wichtig ist es, dass der Einfluss des Irans, Saudi-Arabiens und der Türkei begrenzt wird. Russen und Amerikaner müssen miteinander reden und sich einigen. Sonst gibt es keine Lösung.
Festzuhalten bleibt, dass Russland die führende Kraft im Krieg ist. Was können die Amerikaner da ausrichten?
Die USA kontrollieren die sarischen Abschnitte der Flüsse Euphrat und Tigris, die Ölquellen, und die Kornkammer im Nordosten Syriens.
Politisch können die USA aber Russland nichts vorschreiben.
Politisch sind die USA in einer schwierigen Situation, weil sie die falschen Verbündeten haben – Türken und Saudis. Übrigens ist die türkische Armee faktisch eine islamische Garde.
Mit der Türkei sind wir beim zweiten aktuellen Kriegsschauplatz. Die türkische Operation „Olivenzweig“ richtet sich gegen Ihre Heimatregion.
Ich besitze bei Afrin mehrere hundert Olivenbäume, die in Gefahr sind. Meine Olivenbäume mögen keine Islamisten! Sie sind eine andere Umgebung gewohnt: Wir sind auch Muslime, lehnen aber den radikalen Islam ab. Erdogan will die Kurden unter Kontrolle haben, um sein Islamismus-Projekt in der Türkei, im Irak und in Syrien durchzusetzen. Wenn sich die Kurden weigern, werden sie vernichtet.
Droht eine neue Fluchtwelle?
Das ist möglich. Erdogan verkündet immer wieder, die Grenzen aufzumachen, wenn die Europäer seinen Krieg kritisieren. Nach dem Angriff sind mindestens 100.000 Menschen aus den Dörfern nach Afrin geflohen. Wenn der Weg frei sein sollte, werden auch wieder Menschen auch Deutschland kommen. So produziert Erdogan selbst neue Flüchtlinge.
Warum streckt in Syrien niemand freiwillig die Waffen?
Hinter allen Kräfte stehen fremde Mächte, deswegen kapituliert keine Seite.
Wie lange wird der Krieg noch dauern?
2011 sagte ich: Drei bis 30 Jahre, in Anlehnung an den 30-jährigen Krieg. Ich hoffe, dass es eher Frieden gibt.