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Deutsche Raumfahrer Als DDR-Pilot Sigmund Jähn ins Weltall flog

Vor 40 Jahren startete ein DDR-Bürger ins Weltall. Nicht alle seine Berichte vom Flug waren bei der SED erwünscht.

Von Uwe Seidenfaden 23.08.2018, 01:01

Magdeburg l Es ist ein Sonnabend, Ende August, ein normaler Wochenendalltag in vielen DDR-Haushalten. Über 3000 Kilometer weiter östlich, im Weltraumbahnhof Baikonur, herrscht bereits Abenddämmerung, als plötzlich eine alles überstrahlende „Leuchtkugel“ in den Himmel über der kasachischen Steppe aufsteigt. Das Licht kommt von einer fast 50 Meter hohen Sojus-Rakete, die das Raumschiff Sojus 31 mit dem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski und dem DDR-Forschungskosmonauten Sigmund Jähn in den Weltraum trägt.

Gut acht Minuten später sind die beiden Raumfahrer im Erdorbit und auf einem Kurs zur Orbitalstation Salut 6. „Flug normal“, meldete sich Jähn unter dem Funk-Codenamen „Habicht“. Erst jetzt unterbrechen Radio und Fernsehen in der DDR ihre Programme für eine Sondermeldung über den erfolgreichen Start von Sojus 31 mit dem ersten deutschen Raumfahrer an Bord.

In den kommenden acht Tagen wird sich in den DDR-Medien fast alles nur noch um den Flug von Sigmund Jähn drehen. Wer wollte, konnte noch am Starttag das Raumschiff mit eigenen Augen sehen. Als bewegter Stern tauchte die „Sojus“ um 20.27 Uhr MEZ am südwestlichen Abendhimmel über Magdeburg und Umgebung auf.

An Bord des Raumschiffes hatten die beiden Kosmonauten ihre Raumanzüge bereits abgelegt und einige Checks durchgeführt. Kurz nach Mitternacht begaben sie sich in der Orbitalsektion von Sojus 31 zur Nachtruhe. Als sie am nächsten Morgen erwachten, hatte sich das Sojus-Raumschiff der Raumstation Salut 6 schon auf 3500 Kilometer genähert. Auch die weitere Annäherung bis auf 250 Kilometer erfolgte automatisch.

Ab einer Sichtdistanz von 320 Kilometern übernahm der Kommandant die Handsteuerung. Um 17.34.40 MEZ über dem Baikalsee dockte das Sojus-Raumschiff sanft an die fast 20 Meter lange Raumstation Salut 6 an. Alles verlief bis dahin nach Plan. Doch dann gab es Schwierigkeiten.

Die Verbindungsluke zur Salut-Station ließ sich nicht öffnen. Jähn und Bykowski bemühten sich eineinhalb Stunden nach besten Kräften. Im Kontrollzentrum nordöstlich von Moskau verfolgte Ersatzkosmonaut Eberhard Köllner – ein Sachsen-Anhalter aus Staßfurt – die kritische Situation im Weltraum. Wäre Jähn vor dem Start krank geworden, hätte Köllner für ihn einspringen müssen. Dann wäre der erste Deutsche im All ein Staßfurter geworden. Nunmehr konnte Köllner lediglich zusehen, wie sich sein Freund und Genosse um die Rettung der Mission bemühte.

Im All verständigten sich die Besatzungen von Sojus 31 und Salut 6 mit Klopfzeichen. Mit vereinten Kräften gelang es Jähn und Bykowski schließlich, die „Tür zum kosmischen Wohnheim“ zu öffnen. Von Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwanschenkow wurden die beiden Gäste auf russische Weise mit Brot und Salz begrüßt.

Dass es beim ersten gemeinsamen Abendessen auch einen kleinen Schnaps zum Willkommen gab, erfuhr die Öffentlichkeit damals nicht, und auch nicht von den Problemen mit der Luke. Dafür konnte man in der Zeitung die mit vielen Floskeln versehenen Grußbotschaften der Generalsekretäre der KPdSU und der SED im Wortlaut nachlesen.

Für eine kleine Überraschung sorgte am Mittwoch, dem 30. August, die in der „Aktuellen Kamera“ des DDR-Fernsehens übertragene Weltraum-Pressekonferenz. Unter anderem präsentierte Sigmund Jähn darin die Puppe des DDR-Sandmanns im Raumanzug, der an Bord mit einem russischen Maskottchen namens Mascha verheiratet wurde. Die Idee dazu hatte der Kommandeur der Salut-6-Station und Jähn fand sie so gut, dass er die Hochzeitsstory spontan in seinen Bericht einbaute.

Soviel Eigeninitiative war bei den für das DDR-Fernsehen verantwortlichen SED-Kadern allerdings nicht gern gesehen. Der „Sandmann“ sollte lieber solo bleiben und so wurde die kosmische Puppen-Hochzeit nie im Kinderprogramm ausgestrahlt.

Doch wie kam es überhaupt zu dem Flug eines DDR-Deutschen ins Weltall? Im Juli 1976 bot die UdSSR ihren „Satellitenstaaten“ den kostenfreien Mitflug eines Kosmonauten in einem Sojus-Raumschiff zur Orbitalstation Salut 6 an. Damit reagierte die Sowjetunion auf eine Vereinbarung der Nasa mit westeuropäischen Partnerstaaten, im Ausgleich für den Bau eines bemannten Forschungslabors für den US-Space Shuttle, Astronauten dieser Nationen mitzunehmen.

Die besten Chancen hatten die Bundesrepublik, die finanziell und technisch den größten Anteil am Bau des Forschungslabors Spacelab hatte. Doch wegen der technischen Verzögerungen im US-Raumfährenprogramm hatte die UdSSR schon bald einen deutlichen Zeitvorsprung.

Davon beflügelt, war die DDR-Staatsführung bester Hoffnung, die dritte Nation mit einem eigenen Raumfahrer zu werden. Mitte der 1970er Jahre standen die Chancen nicht schlecht. Seit Beginn der 1960er Jahre hatte die DDR bereits mehr Experimente in das Interkosmos-Programm eingebracht als die meisten andern sozialistischen „Bruderländer“. Das Meisterstück war zweifellos die vom Kombinat VEB Carl Zeiss Jena hergestellte Multispektral-Filmkamera MKF-6, deren Entwicklungs- und Baukosten sich auf rund 82 Millionen DDR-Mark beliefen.

Im September 1976 lieferte sie an Bord des Raumschiffs Sojus 22 einmalige Vermessungsbilder vom gesamten Territorium der DDR und von großen Teilen der UdSSR. Die Qualität der Bilder war so gut, dass trotz DDR-Devisenknappheit ein Exportverbot in den Westen bestand. Nur wenige Bilder der Filmkamera wurden veröffentlicht. Zu den geheim gehaltenen Bildern zählten die MKF-6-Aufnahmen der deutsch-deutschen Grenzregionen. Die Veröffentlichung hätte Menschen helfen können, die unerlaubt die DDR verlassen wollten.

Am 9. Tag seines Raumfluges sollte Jähn zur Erde zurückkehren. Die Nacht zuvor war für Bykowski und Jähn nur kurz. Gegen 4.15 Uhr Bordzeit stiegen sie in das Sojus-Rückkehrschiff. Drei Stunden später trennten sie sich von Salut 6. Jähn machte noch letzte Bilder von der Orbitalstation, bevor diese aus seinen Augen in die Dunkelheit des Weltraums entschwand.

Um 11.52 MEZ, in über 200 Kilometern Höhe über dem Südatlantik, zündeten die Kosmonauten die Bremstriebwerke des Raumschiffs. Dann erfolgte die Landung. Der Raumfahrtjournalist Gerhard Kowalski war als damaliger ADN-Korrespondent vor Ort in der kasachischen Steppe. Er erinnert sich, dass viele Originalaufnahmen noch einmal gedreht wurden. So hatte sich der Kommandant Bykowski kurz nach der Landung eine Zigarette angezündet. Rauchende Kosmonauten sind kein gutes Vorbild, befanden die Partei-Propagandisten. Wiederholt werden musste auch die Szene, in der Sigmund Jähn mit Kreide seinen „Herzlichen Dank“ auf die Landekapsel schrieb – mit falschem Datum.

Und als wäre das noch nicht genug Malheur, wurde zum Empfang auf der Erde neben der UdSSR-Flagge die schwarz-rot-goldene Fahne ohne DDR-Emblem gehisst. Ein NVA-Offizier ersetzte sie kurze Zeit später mit dem DDR-Banner.

Gerne wäre Sigmund Jähn erneut ins All geflogen, sagte er später. Diese Chance erhielt er nicht. Seine Landekapsel steht heute im Deutschen Militärmuseum Dresden.