Einschulung Die Geschichte hinter der Zuckertüte
Dass jedes Kind zum Schulanfang eine Zuckertüte bekommt, ist ein typisch deutscher Brauch, der seinen Ursprung in Thüringen hat.
Frankfurt (Oder) (dpa) l Die Erinnerungsfotos ähneln sich: Kleine Mädchen im schmucken Kleid und mit Schleife im Haar posieren lächelnd mit einer bunten Zuckertüte. Jungen - zumeist in kurzen Hosen und mit Ranzen auf dem Rücken - präsentieren stolz jede Menge Naschwerk. Ob nun Ende des 19. Jahrhunderts oder heute – zur Einschulung gehört die Zucker- oder Schultüte in Deutschland einfach dazu. Das zeigt gegenwärtig bis zum 21. Oktober eine Ausstellung im Museum "Viadrina" in Frankfurt (Oder).
Die beiden Kulturhistoriker Susann Hellemann und Lothar Binger aus Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) haben die Schau mit dem Titel "Von ABC-Schützen und Zuckertüten" konzipiert. Grundlage dafür ist ihr vor fast 40 Jahren begründetes Archiv historischer Alltagsfotografie, das mittlerweile knapp 2500 Alben mit Hunderttausenden Aufnahmen aus dem 19. und 20. Jahrhundert umfasst.
"Wir haben beide für den museumspädagogischen Dienst in Berlin gearbeitet, machten eine Ausstellung zum Leben in der Borsigsiedlung und merkten, wie wichtig Fotos sind, um den Alltag zu illustrieren", erinnert sich Hellemann. Damals begannen sie und ihr Partner zu sammeln. Auf Trödelmärkten, in Antiquitätenläden und bei Haushaltsauflösungen wurden und werden sie fündig.
Als sich beide vor Jahren als Ausstellungsmacher selbstständig machten, begannen sie anhand der Fotos Themen zu recherchieren: Brandenburger Bräute, Handwerk, märkische Wanderer und Berliner sowie Potsdamer Balkongeschichten wurden zu Ausstellungen, die Museen in Berlin und Brandenburg zeigen. Die erfolgreichste sei die Schau zur Einschulung. Sie ist laut Hellemann jetzt erstmals im Museum Viadrina bis zum 21. Oktober zu sehen.
Jeder Besucher habe eigene Erinnerungen an seine Einschulung, deren Dreh- und Angelpunkt immer die Zuckertüte sei. "Das ist ein typisch deutscher Brauch, der in Sachsen, Thüringen und Schlesien seine Ursprünge hat", erzählt die 60-jährige Ausstellungsmacherin.
Die älteste biografische Notiz, die sie dazu fand, stammt von 1817, als ein Schulkantor aus Jena (Thüringen) davon schrieb, wie die ABC-Schützen mit Konfekt in kleinen Tüten beschenkt worden waren, um ihnen den Schritt in den "Ernst des Lebens" zu erleichtern. Die Idee stammt ursprünglich von Bäckern, die Gebäck in handgedrehte Kegel packten.
Von 1850 an verbreitete sich dieser Brauch Hellemann zufolge in den oberen Gesellschaftsschichten Deutschlands. In den 1920er Jahren - so belegen es Fotos - nahmen Zuckertüten überhand, weil jeder Verwandte dem frischgebackenen Schulkind eine schenkte. Die Nazis hätten später eine "Einheits-Tüte" erfunden, damit kein Kind benachteiligt werde
Hellemann hat bei ihren Recherchen auch Unterschiede des Brauchs nach 1945 entdeckt. "In Westdeutschland blieben die Tütenkegel rund, in der DDR setzen sich hingegen achteckige durch. Im Osten bekamen ABC-Schützen meist auch noch einen Blumenstrauß dazu, und oben aus der Tüte schaute zumeist ein Plüschtier heraus. Im Westen begannen Mütter einen Ehrgeiz dafür zu entwickeln, die Zuckertüten selbst zu basteln." Neben Zuckertüten in allen Formen und Ausführungen, gehören alte ABC-Fibeln, Glückwunschkarten zu Einschulung, Griffelkästen und Brottaschen zu den Exponaten der Schau.
Herzstück jeder Ausstellung seien die historischen Fotos, ergänzt Ausstellungsmacher Binger. "Die arbeiten wir auf, machen daraus digitale Bilderschauen oder 3D-Installationen." Kombiniert werden sie mit Texttafeln, auf denen Zeitzeugen-Erinnerungen festgehalten sind. "Natürlich sprechen wir mit vielen, wälzen aber auch Bücher und durchforsten das Internet", erläutert der 76-jährige Kulturhistoriker.
"Ich hatte schon Ausstellungen der beiden gesehen und war auf ihren umfangreichen Fundus aufmerksam geworden, der zu uns und unserem historischen Klassenzimmer passt", erzählt Sonja Michaels, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Frankfurter Museums "Viadrina", deren Sohn im August eingeschult wird.
Tatsächlich ist ein Raum im Erdgeschoss des Junkerhauses am Oderufer, wo das Museum seinen Sitz hat, mit hölzernen Schulbänken, Schiefertafeln, einem Lehrerpult mit Rohrstock und alten Unterrichtskarten ausgestattet - wie um 1900. Die städtische Schulgeschichte gehört seit 1957 zum Sammlungsprofil.
"Das Klassenzimmer vermittelt unterschiedliche Lehrmethoden und die alte deutsche Schreibschrift Sütterlin. Es gehört zu unserem museumspädagogischen Angebot und wird von den Schulen gern genutzt", berichtet Michaels. Das Museum ergänze die aktuelle Einschulungsausstellung mit eigenen Exponaten aus der Frankfurter Schulgeschichte.