Anbau Ein Dschungel voll Tomaten
In Sachsen-Anhalts Supermärkten liegen auch Tomaten aus Wittenberg in den Regalen. Für die Investoren läuft das Geschäft gut.
Wittenberg l Helmut Rehhahn plant den nächsten Coup. Vor mehr als fünf Jahren überzeugte er niederländische Investoren, Tomaten in Wittenberg anzubauen. In diesen Tagen beginnen die Bauarbeiten für Rehhahns nächstes Projekt, für das die Holländer erneut den Geldbeutel öffnen. Neben den zwei bestehenden Gewächshäusern am westlichen Wittenberger Stadtrand sollen in den kommenden Jahren drei weitere Glas-Giganten entstehen. „Nach dem Abschluss der Bauarbeiten werden wir 40 Hektar unter Glas haben“, sagt Rehhahn. Im Süden Sachsen-Anhalts würde dann die größte Gewächshaus-Anlage in Deutschland stehen.
Rund fünf Millionen Euro investieren die Niederländer in den nächsten Bauabschnitt, der direkt neben den bestehenden Gewächshäusern geplant ist. Geht alles gut, soll ab 2017 Paprika angebaut werden. Helmut Rehhahn ist da zuversichtlich. Er ist der Kopf des Projektes. Rehhahn verdient seit Jahren sein Geld mit der Beratung von Unternehmen im Agrarsektor. Viele Kontakte bestehen seit seiner Zeit als SPD-Landwirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt. Das Amt hatte er von 1994 bis 1996 inne.
Den Plan, in Wittenberg Tomaten anzubauen, trug er viele Jahre mit sich herum. In den bestehenden Gewächshäusern wachsen seit 2013 Tomatenpflanzen. Die Anbaufläche ist so groß wie 20 Fußballfelder. Bis zu 7000 Tonnen Tomaten werden jedes Jahr geerntet. Der Lebensmitteleinzelhandel in der Region hat die Luther-Tomaten im Angebot. „Unsere Tomaten sind geschmackvoll“, betont Rehhahn immer wieder. Dass die Gewächshäuser direkt neben Deutschlands größtem Produzenten für Ammoniak und Harnstoff stehen, ist kein Zufall, sondern Teil von Rehhahns Business-Plan. Denn bei der Produktion der Düngemittel in den SKW Stickstoffwerken Piesteritz entsteht Kohlendioxid. Tomaten brauchen das Gas für die Photosynthese und damit für ihr Wachstum. Über eine 500 Meter lange Pipeline gelangt das Gas vom Chemieunternehmen direkt in die Tomatenplantage. Neben dem CO₂ liefert das benachbarte Werk auch Wärme. Ein Jahr lang wurde mit dem tschechischen Konzern Agrofert, zu dem die Stickstoffwerke gehören, verhandelt, dann stand der Deal. „Ohne diese Partnerschaft würde sich der Anbau von Tomaten in Wittenberg nicht lohnen“, erklärt Rehhahn.
Gestiegene Energiekosten und günstige Konkurrenz aus dem Ausland sorgten in den vergangenen Jahren dafür, dass der Anbau von Tomaten für deutsche Anbieter eher kein gutes Geschäft war. Daher werden auch nur etwa zehn Prozent der in Deutschland verspeisten Tomaten hierzulande produziert. Der Markt für das Gemüse wird von Unternehmen aus den Niederlanden, Spanien, Belgien und Italien dominiert. Helmut Rehhahn will das langsam ändern. Die Tomaten von Wittenberg-Gemüse – diesen Namen gaben die Investoren ihrer deutschen Unternehmung – werden von regionalen Lebensmitteleinzelhändlern im Osten Deutschlands angeboten. Den Markennamen Luther-Tomaten hat sich das Unternehmen schützen lassen. „Die Kunden merken, dass unsere Tomaten einfach besser schmecken“, sagt Rehhahn. Er will mit Qualität punkten. Da dürfen die Tomaten aus Sachsen-Anhalt gerne auch etwas teurer sein.
Wenn Helmut Rehhahn der Ideengeber für das Projekt ist, sind die Niederländer die Fachmänner, wenn es um den Anbau der Tomatenpflanzen geht. In Holland ist das Züchten von Tomaten fast Volkssport. Handelsleiter Kevin van Ijperen ist bei Rotterdam zwischen Gewächshäusern aufgewachsen. In Wittenberg ist er für Verkauf und Vermarktung des Gemüses zuständig. Seine Landsmänner haben die Aufsicht über Anbau, Zucht und Ernte der Pflanzen. Rund 120 Mitarbeiter umsorgen die Tomaten in liebevoller Handarbeit. „Jede Pflanze wird einmal in der Woche angefasst“, erklärt Van Ijperen. Im Dezember werden die Tomaten gesetzt.
Für optimale Wachstumsbedingungen beträgt die Temperatur in den Gewächshäusern konstant 24 Grad. Über eine Fußbodenheizung strömt die Wärme bis unter die Glasdecke. Die bis zu vier Meter hohen Tomatenpflanzen werden durch Schläuche mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Die Basis der Pflanzen bilden Kokosfasern, die nach der Ernte von Landwirten als Dünger verwendet werden können. Damit Früchte geerntet werden können, müssen die Pflanzen von Insekten bestäubt werden. In Wittenberg übernehmen das Hummeln, die im Tomaten-Dschungel von Blüte zu Blüte fliegen.
Der Preis für den Anbau der roten Frucht in Wittenberg war hoch: Rund 20 Millionen Euro haben die Niederländer bisher in das Projekt investiert. „Unsere Zahlen sind gut. Wir arbeiten profitabel“, sagt Helmut Rehhahn. Die Luther-Tomate hat gute Chancen, nicht nur geschmacklich ein Volltreffer zu sein.