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Mit "Die Haut, in der ich wohne" serviert Almodóvar ein wahnwitziges Biotech-Märchen Antonio Banderas als rachsüchtiger Doktor

Von Birgit Roschy 21.10.2011, 04:24

Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar ist eine Klasse für sich. In seinem neuen Film "Die Haut, in der ich wohne", der seit gestern in den Kinos zu sehen ist, hat er sich eine besonders schrille Geschichte ausgedacht.

Berlin (dapd) l Sogar Almodóvars einstige Entdeckung, Antonio Banderas, ist aus Hollywood zurückgekehrt, um in Almodóvars Kabinettstückchen die Rolle eines modernen Doktor Frankenstein zu übernehmen. Als plastischer Chirurg mit finsteren Hintergedanken erzeugt der einstige Latin Lover mehr als nur gepflegtes Gruseln.

Banderas spielt Dr. Robert Ledgard, einen Star seiner Zunft. Seit Roberts Frau im Zuge schwerer Verbrennungen nach einem Autounfall starb, ist der bastelfreudige Operateur davon besessen, eine feuerfeste Haut zu züchten. In seinem abgeschirmten Landhaus führt er verbotene Transgenese-Experimente mit Schweine-DNS durch.

Patientin mit Pfirsichhaut

Seine einzige Patientin ist die junge Vera, deren Moskito-resistente Pfirsichhaut Robert jeden Feierabend auf dem Großbildschirm bewundert. Das anmutige Wesen lebt, in einen hautfarbenen Ganzkörperanzug gekleidet, in einem Zimmer seines Anwesens, verbringt die Tage mit Yoga und sieht der Toten zum Verwechseln ähnlich.

Doch wer ist dieses Geschöpf mit den riesigen, verstörten Augen? Bis ins letzte Filmdrittel, in dem man allmählich die haarsträubende Wahrheit ahnt, bleibt die Identität der Traumfrau im Dunkeln. In mehreren Rückblenden entrollt sich ein monströser Masterplan, bei dem der rachsüchtige "mad scientist" Robert nach privaten Tragödien nichts dem Zufall überlassen will. Dabei hakt Almodóvar mit Mord, Vergewaltigung, Kidnapping, Selbstmord, Drogen und Sex das ganze Thriller-Programm ab. Der herzzerreißende Schluss setzt noch eins drauf. Mehr soll von diesem labyrinthischen Garten der Leidenschaften nicht verraten werden, um nicht den Spaß an diesem Wahnwitz zu verderben.

Almodóvar ist ein Filmemacher, dessen barocke Fantasien zweifellos als Schund bezeichnet werden können - und die doch auf seltsame Weise stimmig und wahr sind. In dieser medizinischen Erotikfantasie bedient er sich ohne Scheu den Versprechungen der Biotechnologie und exerziert ihre Möglichkeiten bis in die letzte Konsequenz durch. Dabei erfahren die Überschneidungen zwischen Hetero- und Homosexualität, stets präsent in seinem Werk, eine ulkige Neuauflage. In der drastischen und lakonischen Inszenierung verschmelzen Tragik und Komik zu einer burlesken Schauergeschichte, in der jeder Opfer und Täter zugleich ist.

Jonquet-Roman als Vorlage

Mit dabei ist neben Banderas, der mit Almodóvars Skandalfilm "Fessle mich!" zum Weltstar aufstieg, auch Marisa Paredes, die, vom "Kloster zum Heiligen Wahnsinn" bis hin zu "Alles über meine Mutter" zum Stammensemble gehört. Sie spielt Roberts Mutter, die nicht einverstanden ist mit seinen Taten, aber sowohl ihm wie einem anderen missratenen Sohn nichts abschlagen kann. Neben dem "Biest" Robert glänzt als mysteriöse "Schöne" die Neuentdeckung Elena Anaya. Mag Robert auch an Veras Äußerem herumschnippeln, so kann er doch ihre Persönlichkeit nicht verändern.

Als Filmvorlage diente der gleichnamige Roman von Thierry Jonquet, aber auch Selbst- und Hitchcock-Zitate fließen in die Handlung ein. In der kühlen Villa des kunstbeflissenen Robert verwandelt sich die übliche "almodovareske" Lebhaftigkeit in eine reduzierte, surreal angehauchte Ästhetik. Hier braucht es (fast) kein Blut, um Horror herzustellen. Stattdessen erzeugt der Anblick der wie in einem Gemälde hingestreckten Nackten ein erotisches Prickeln, das sich zur Gänsehaut auswächst. Und selbst wenn sich Männlein und Weiblein ihrer Identitäten nicht mehr sicher sein können, so ist doch eines garantiert: Diese abgründige Filmfantasie hält mehr, als sie verspricht.