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Ausstellung Karl Lagerfeld: Der Modezar als Fotograf

Modezar, Designer, Filmemacher, Verleger und Fotograf - das Kunstmuseum Moritzburg in Halle zeigt 400 Fotografien von Karl Lagerfeld.

Von Grit Warnat 06.03.2020, 00:01

Halle l Der elegante Lagerfeld mit Aktenkoffer, mit Fotoapparat, locker-leger an einer Straßenlampe, an einem Geländer lehnend. Gleich 60-fach begegnet dem Besucher im Innenhof der smarte, gestylte Karl Lagerfeld. Handschuhe, Sonnenbrille und Mozartzopf selbstverständlich inklusive. 30 Stelen werden derzeit errichtet, 60 Porträts gezeigt. Es sind allesamt Selbstporträts. „Die perfekte Inszenierung“, sagt Gerhard Steidl, der Kurator der neuen Ausstellung.

Mindestens einmal in der Woche, so erzählt er, habe Lagerfeld von sich ein Porträt gemacht. „Die Kamera wurde von seinem Assistenten aufgebaut, Lagerfeld hat durch den Sucher geschaut, geguckt, ob das Licht stimmt, und dann selbst ausgelöst – später bei Digitalkameras mit einem Sender.

„Dann aber begann die eigentliche Arbeit“, sagt Steidl. Die Bilder wurden aufwendigst retuschiert. Nicht Lagerfelds Gesicht, aber jede noch so kleine Falte auf dem Ärmel, an der Hose, die ihm nicht passte, ließ er mit Photoshop nachbearbeiten. 60, 70, 80 Stunden soll das teilweise in Anspruch genommen haben. Alles für die Perfektion. Elegant, perfekt wollte er sich auf diesen Bildern zeigen, die fast allesamt zur Veröffentlichung in Presseblättern bestimmt waren. So sei er eigentlich gar nicht, habe Lagerfeld selbst über diese Arbeiten gemeint. Er habe sich zu einem Charlie Chaplin gemacht, sagt Steidl.

Es ist eine der vielen Geschichten, die Gerhard Steidl über Lagerfeld erzählt. Er kannte den Modezar ausgesprochen gut. Steidl ist Verleger in Göttingen, einer der wichtigsten in Deutschland, geschätzt in der Branche und von seinen Lesern für seine Bücher. Steidl besitzt die Rechte am Werk von Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Mit Lagerfeld verbindet ihn eine lange Freundschaft. „Es war eine Arbeitsfreundschaft“, sagt der 69-Jährige. Über 25 Jahre habe er mit Lagerfeld zu tun gehabt. Jeden Tag. Beide hatten ein gemeinsames Verlagsprojekt und zahlreiche Bücher erarbeitet und verlegt.

Steidl, mit kariertem Hemd, Jeans und Turnschuhen, kann jede Menge erzählen über den Modezar, seine Art, zu arbeiten, auch in der Fotografie. Letztlich war es die Perfektion, die Lagerfeld dazu brachte, den Fotoapparat in die Hand zu nehmen und eine Chanel-Pressemappe selbst zu erstellen, weil alles andere nicht seinen Ansprüchen entsprach. 1987 war das. Es folgten nicht nur weitere Werbekampagnen, sondern auch eine intensive Beschäftigung mit der Fotografie. „Heute ist das Fotografieren ein Teil meines Leben. Es schließt den Kreis meiner künstlerischen und beruflichen Unruhe“, wird Lagerfeld im Beiheft zur Ausstellung zitiert.

Kurator Steidl hat sich für einen breiten Querschnitt entschieden, einen Blick in viele Bereiche, die der Meister bediente: Ausgehend von Modefotografie über ganze Serien in Architektur, Mythologie, Landschaften. Da gibt es keineswegs nur schöne Models mit langen Beinen und in langen Kleidern und jede Menge junge Männer mit wunderbar anzusehenden Waschbrettbäuchen. Kleider und asketische Körper sind zu sehen, aber ebenso fotografierte Bäume in Kombination mit den Streben des Eiffelturmes oder die bereits 1989 entstandenen „Body parts“ – Knie, Schulter, Hände – neben der menschenleeren Casa Malaparte auf einem Felsvorsprung der italienischen Insel Capri.

Lagerfeld, der große Buchfreund, der Zehntausende Bände besessen hat, war mit Literatur verbandelt und ließ sich von ihr immer wieder für seine fotografischen Arbeiten inspirieren. Er interpretierte unter anderem Oscar Wildes literarische Vorlage „The Picture of Dorian Gray“. Großflächig ist die Serie gehängt, die das ausgelassene, trunkene Partyleben junger Leute zeigt und wie sie im Flur eine Kiste finden, in der sich Bilder eines Paares im Alterungsprozess befinden – die Vergänglichkeit der Jugend im Zeitraffer. Am Ende der Party sehen sie das eigene Gesicht, das aufwendig von einem Make-up-Künstler ins hohe Alter versetzt wurde. „So etwas hat Lagerfeld fasziniert“, sagt Steidl.

Auch mythologisch-antik hat er sich inspirieren lassen. Wieder war ein Buch Vorlage: die „Hirtengeschichten von Daphnis und Chloe“. Wiesen, Vögel, Lämmer sind zu sehen, ein erotisches Märchen, Jüngling und Mädchen mit Blicken zwischen lasziv und unschuldig. Schöne heile Welt hin zum Kitsch. Steidl trägt wieder eine Anekdote bei: Französische Wälder. Es bewegte sich ein Tross. Vorneweg ein Rolls-Royce mit Lagerfeld und den Models, dahinter schwarze Vans mit dem Fototeam und Stylisten, dahinter Catering-Wagen, einer beladen mit perligem Roséwein, gefolgt von zehn Wagen mit dem tierischen Personal: Ziegen, Schafe, Kühe, Hunde. Und zum Schluss ein Trecker mit Futter für die Tiere. Das Ergebnis ist in der Moritzburg zu sehen: aufwendig inszenierte, teils sehr großformatige Arbeiten.

Auch anderen Kunstrichtungen und Künstlern widmete sich Lagerfeld – bis hin zu den Gemälden von Lyonel Feininger und Filmen von Fritz Lang.

Steidl hat sich auch für Lagerfelds Produktwerbung entschieden. Er fotografierte Serien für etliche Automarken und für Dom Perignon, die hochpreisige Champagnermarke. Dafür erzählt er fotografisch Geschichten wie im „Room Service“. Eine Frau und ein Mann, beide jung und schön, genießen jeder für sich im Pariser Ritz den Sekt, dann zu zweit. Nach einer netten Nacht beginnt der nächste Morgen mit Schampus unter der Dusche. So schön kann die Welt sein.

Es ist eine Ausstellung fast ohne Rahmen und ohne Glas für die Arbeiten. Alles ist aufwändig inszeniert – wie es wohl Lagerfeld gefallen hätte. Wertvolles Papier dominiert, mit gerissenen, ausgefransten Enden. Handgeschöpftes Büttenpapier. Spezialanfertigungen. Ein Bogen kostet schon mal 80 Euro. Ohne Druck. Steidl ist in seinem Element, wenn er über dieses gehängte Papier erzählt, das vor den Wänden zu schweben scheint. „Lagerfeld war ein Papierfreak, wie auch ich einer bin.“ Und beide verband auch die Leidenschaft für unterschiedlichste fotografische Medien und Drucktechniken. Steidl erzählt von Daguerreotypien, Platinotypien, Silbergelatine-Prints, Polaroidtransfers. Auch in diesem Metier soll sich Lagerfeld bestens ausgekannt haben.

Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich ist die Freude über Lagerfeld als Werkschau anzusehen. Er spricht von der weltweit ersten Retrospektive über die Fotografie Lagerfelds, die ihre Wurzeln im Frühjahr 2018 in einem Gespräch mit Kollegen hat. „Wir präsentieren Dinge, die mit musealen Anforderungen nicht möglich gewesen wären“, sagt er. Gezeigt wird ein Mix aus Kunst und Kommerz.

Steidl hatte seit längerem eine Retrospektive über das Lagerfeld‘sche Schaffen vor. „Er sagte: Bleiben Sie mir vom Halse, das könnt Ihr machen, wenn ich tot bin.“

Lagerfeld starb am 19. Februar 2019. Da hatte er schon längst den Plänen zugestimmt. Auch der Schau in der Moritzburg Halle.

„Karl Lagerfeld. Fotografie. Die Retrospektive“ öffnet am Sonntag und ist bis zum 23. August zu sehen.