Todesfall Peggy Parnass: Kämpferin für mehr Menschlichkeit
Ihr Leben widmete sie dem Kampf gegen Ungerechtigkeit, Intoleranz und das Vergessen. Jetzt ist die Autorin und Holocaust-Überlebende Peggy Parnass in ihrer Wahlheimat Hamburg gestorben.

Hamburg - Über ihre Kindheit wollte Peggy Parnass nicht sprechen. „Alles, was ich zu sagen habe, habe ich aufgeschrieben. Das war schlimm genug“, sagte die Autorin, die in den 1970er und 1980er Jahren durch ihre Gerichtsreportagen berühmt wurde.
Drei Monate geht es ihr schlecht, als sie die Erinnerungen an ihre „Mutti“ und ihren Vater „Pudl“, die von den Nationalsozialisten ins Warschauer Ghetto deportiert und später im Konzentrationslager Treblinka ermordet wurden, für ihr Buch „Unter die Haut“ (1983) aufgeschrieben hat.
Jetzt ist die Publizistin mit dem roten Wuschelhaar, die zuletzt in einem Seniorenheim im Hamburger Stadtteil St. Georg lebte, im Alter von 97 Jahren gestorben. Als im Herbst 2023 im Stadtteil Eimsbüttel ein Platz nach ihren Eltern benannt wurde, unweit der ehemaligen Wohnung des Paares in der Methfesselstraße 13, war sie tief bewegt: „Es ist beinahe so, als wären meine Eltern zurückgekommen, die hier rausgeschmissen worden sind“, sagte die damals 96-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Kämpferin gegen Ungerechtigkeit, Intoleranz und das Vergessen
Ihr Leben lang kämpfte Parnass gegen Ungerechtigkeit, Intoleranz und das Vergessen. Dafür wurde sie 2021 vom deutschen PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied ernannt. „Der PEN ehrt damit eine Frau, die sich zeitlebens mutig und unbeirrt für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt und gegen jede Form von Faschismus und Unterdrückung gekämpft hat, trotz nunmehr jahrzehntelanger, oft offen antisemitischer Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen“, hieß es in der Begründung.
In ihrem Buch „Unter die Haut“ erzählt Peggy Parnass in bewegenden Worten von ihrer behüteten Kindheit in Hamburg, den ersten Anfeindungen gegen Juden bis zu dem schrecklichen Tag im Jahr 1939, als ihre Mutter sie und ihren vierjährigen Bruder mit einem Kindertransport nach Stockholm schickte.
Behütete Kindheit in Hamburg bis 1939
„Die ersten Jahre meines Lebens waren durch die Liebe meiner Eltern
sehr schön. Die Zeit danach war ein einziger Alptraum“, sagte Parnass, die alle nur Peggy nannten, im dpa-Interview zu ihrem 80. Geburtstag. In Schweden wurde sie von ihrem Bruder getrennt, lebte in zwölf verschiedenen Pflegefamilien.
Als Heiligstes bewahrte sie Briefe und Fotos von ihrer Mutter in einem Schuhkarton auf, darunter die letzten Postkarten aus dem Warschauer Ghetto mit den Worten „Auf Wiedersehen! Schalom! Wir lieben Euch! Wir denken immer an Euch! Seid brav und nicht traurig!“. Weil sie davon angeblich trübsinnig wird, verbrannte ihr Vormund den Karton samt Inhalt.
Nach dem Krieg lebte Parnass zunächst in London, danach studierte sie in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Eigentlich wollte sie nie nach Deutschland zurück, bleibt aber bei einem Besuch ihrer Cousine in Hamburg hängen und „traf dort lauter dufte Leute, alles Linke, Antifaschisten und Widerstandskämpfer“.
Mit dem Schriftsteller Peter Rühmkorf, „Konkret“-Gründer Klaus Rainer Röhl und Dick Busse lebte sie in einer Wohngemeinschaft, sie gründeten eine Studentenbühne und machten politisches Kabarett.
Scharf beobachtende Moralistin
Peggy Parnass konnte Ungerechtigkeiten nie akzeptieren. Sie engagierte sich politisch und war in etlichen Protestbewegungen aktiv, „weil es der Selbstrespekt verlangt, den Versuch zu machen, etwas zu bewegen“. 17 Jahre lang schrieb sie Gerichtsreportagen für die linke Zeitschrift „Konkret“, in denen sie sich als mutige und scharf beobachtende Moralistin erweist. Ihr Buch „Prozesse 1970-1978“ wurde vielfach ausgezeichnet.
„Eigentlich wollte ich über NS-Prozesse schreiben. Aber von den mehr als 500 Prozessen, über die ich berichtet habe, waren nur drei NS-Prozesse.“ Es folgten autobiografisch geprägte Anthologien („Unter die Haut“, „Süchtig nach Leben“), in denen sie von ihrem Leben voller Leidenschaft berichtet. Was gab ihr die Kraft, immer weiterzumachen? „Meine unbändige Freude am Leben“, lautete ihre Antwort.