Nach 160 Jahren kehrt die Bellini-Oper "Norma" auf die Dessauer Bühne zurück Begeisternd, dramatisch, Belcanto
Sorgsam behütet von einer Vertrauten spielen zwei kleine Kinder. Nachts, in einem Wald, an einer heiligen Stätte. Die beiden sind das streng gehütete Geheimnis der Oberpriesterin Norma. Vincenzo Bellinis Oper "Norma" erlebte am Freitag am Anhaltischen Theater Dessau ihre Premiere.
Dessau-Roßlau l Bei aller Vorsicht vor zu überschäumender Euphorie und im Bemühen zur Objektivität - diese Premiere wurde zu einer künstlerischen Sternstunde für Angelina Ruzzafante. Sie brillierte in der Titelrolle der Norma mit herausragender dramatisch glaubhafter Präsenz und hinreißendem Belcanto-Gesang, mit in allen Höhen und Tempi in müheloser Perfektion präsentierten Koloraturen.
Regisseur André Bücker hatte darüber hinaus mit Song Kyu Park (Pollione) und Rita Kapfhammer (Adalgisa) in den beiden anderen Hauptpartien Künstler in Augenhöhe mit Angelina Ruzzafante besetzt.
Thomas Skambraks (Oroveso), Kristina Baran (Clotilde) und Leszek Wypchlo (Flavio) vervollständigen ein Sänger-Darsteller-Ensemble, das den Figuren mit bestem Gesang und mindestens gleichgewichtigem ausdruckstarkem Spiel auf der räumlich großen Bühne Charakter gibt. Es war faszinierend, wie durchgängig spannungsvoll der oft "nur" von Arien, Duetten oder Terzetten getragene Handlungsfortgang gestaltet wurde. Der Chor (Leitung Helmut Sonne) gefiel in seiner wirkungsvollen Einheit von Gesang und Spiel.
Die Anhaltische Philharmonie agierte differenziert und ausgewogen, ließ die Musik klangfarbenreich erklingen. Dirigent Daniel Carlberg gelang es bestens, das Orchester intensiv auf die stimmige Sänger- und Chorbegleitung auszurichten.
Bernd Schneiders Bühnenbild aus einem abgestorbenen Waldstück mit einen einzelnen hervorragenden Baumstumpf (mit Altarbedeutung) hat Symbolcharakter, lässt Zeitlosigkeit der Handlung zu. Kostüme und Ausstattung (Suse Tobisch) könnten vielleicht an die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern.
Eindeutig dagegen sind die Hauptkonflikte dieser zuletzt im Jahr 1846 in Dessau aufgeführten Oper: Die Gallier wollen sich von der langanhaltenden römischen Besatzung befreien. Die auserwählte Führerin, die Oberpriesterin Norma, ist zögerlich und gebietet Abwarten.
Die Priesterin ist zerrissen zwischen Liebe und dem Vaterland
In ihrem Seelen-Inneren wird sie allerdings förmlich zerrissen zwischen der heimlichen Liebe zum römischen Prokonsul Pollione, dem Vater ihrer beiden Kinder, sowie ihrer vaterländischen Pflicht. Eine ungemein dramatische Zuspitzung des scheinbar unlösbaren Konflikts ergibt sich aus der Liebe Polliones zur jungen Priesterin Adalgisa. Sie erzählt Norma von ihrer Liebe zu einem jungen Römer. Norma erlebt dabei ihre eigene Geschichte gedanklich noch einmal. Nur der Zuschauer weiß bis dahin, dass es sich um Pollione handelt.
Die Spannung steigert sich wie vor einem Vulkanausbruch. Als der Name fällt, kommt es gewissermaßen zur Gefühls-Explosion. Bei Norma wandelt sich die Liebe in Hass. Auch auf sich selbst, die ihr Priestergelübde einst gebrochen, sich mit dem Feind eingelassen hat.
Auf der Bühne erlebt der Zuschauer meist wenig äußere Aktion, die Zerrissenheit, die Stimmungsschwankungen vollziehen sich im Inneren, in den bedrückenden, schon körperlich schmerzhaften Gedankensprüngen. Sich selbst töten? Ihre Kinder töten? Wie wird sie sich entscheiden? Auch im Verhältnis zu Pollione, der sich trotz Bitten und Flehen nicht umstimmen lässt? Norma schlägt den göttlichen Gong, ruft zum Krieg. Schließlich gibt sie ihren Verrat preis, gibt ihre Kinder in des Vaters Obhut und - opfert sich selbst.
Die Premiere wurde im leider nicht ausverkauften Anhaltischen Theater mit großer Begeisterung aufgenommen. Die nächste Aufführung ist am 31. Oktober um 17 Uhr.