Besonders unheilbar oder: Ein großer Tummler
Vier Wochen war es her, dass ich Sanddornfrüchte mit Pfefferminzblättern und einer Prise sorgsam gestößelten Fenchels mit drei Litern Wodka vermengt hatte. Während ich die letzten Tropfen meines selbst erdachten Kräuterlikörs durchseihte, klingelte wie verabredet mein Freund Harald an der Tür, um Teil der anberaumten Verkostung zu sein.
Mit den Worten "Es riecht ein wenig streng hier" fiel seine Begrüßung weniger euphorisch aus, als ich gehofft hatte. Drei Minuten später hatten wir nicht nur Platz, sondern auch unsere Gläser zur Hand genommen. Harald hielt das seine übertrieben behutsam unter die Nase und sagte etwas, das den Braumeister in mir zutiefst kränkte: "Bist du sicher, dass wir uns damit nicht lieber einreiben sollten?"
Mein strenger Blick belehrte ihn eines Besseren, einem kräftigen Schluck schickte er den Satz voraus: "Was soll’s, mit mir geht’s sowieso zu Ende." Zwei Sekunden, nachdem mein Likör Haralds Kehle passiert hatte, verzog er sein Gesicht auf eine Art, die ihn nicht zwingend sympathischer machte. Bestürzt über diese unfreiwillige Mimik tat auch ich einen Schluck und fühlte mich meinem Freund plötzlich sehr nahe. Haralds Bemerkung, dass mein Getränk hervorragend zu dem Leidensweg passen würde, auf dem er gerade wandelte, ließ mich dann aber doch ironisch werden: "Übertreib nicht schon wieder, du würdest dir doch sogar die Haare wachsen lassen, nur, um sagen zu können, dass du viel um die Ohren hast."
Was ich in den folgenden Minuten zu hören bekam, versetzte mich in eine Stimmung, in der Amüsement, Entsetzen und Nachdenklichkeit eine undefinierbare Allianz eingingen. Vor gut zwei Wochen habe Harald einen zwar erträglichen, aber doch steten Schmerz im Nacken gespürt, der sieben Tage lang angehalten und sich nur nächtens verflüchtigt hatte. Dieses Erlebnis habe ihm auf brutalste Weise seine altersbedingte Gebrechlichkeit und die damit verbundene schwindende Lebensspanne vor Augen geführt.
Obwohl die Ursache für den Schmerz nicht – wie von ihm befürchtet – eine besonders unheilbare Nackenwirbelkrebs-Variante war, sondern lediglich das Firmenschild im Kragen seines neuen Hemdes, sei er nach diesem Unwohlsein fest entschlossen, fürs Alter neue Lebenskraft im Glauben zu finden und vom Atheismus zum Hinduismus zu konjugieren. Angesichts der atmosphärischen Dichte unseres Gespräches hielt ich es für unratsam, das Wörtchen "konvertieren" einfließen zu lassen und beschränkte mich auf die Frage, warum es der Hinduismus sein solle.
"Wegen der Reinkarnation", erklärte meine Freund. "Ein Delphin wäre meine erste Wahl, weil der sich den lieben langen Tag nur im blauen Wasser tummelt. Ich wäre sicher ein ganz großer Tummler."
Nach diesem Satz war es an der Zeit, meinem unterdrückten Grinsen die Freiheit zu schenken und Harald zu korrigieren. "Soviel ich weiß, kann man sich die Gestalt seiner Wiedergeburt nicht aussuchen", merkte ich vorsichtig an. "Du könntest ebenso als Stechmücke, Nacktmull oder Bandwurm zurückkommen. Wobei man das ja alles noch ertragen könnte. Was aber willst du tun, wenn es etwas in der Art von Achim Mentzel oder Jürgen Drews wäre?"
Wie erfolgreich meine Argumentation war, ließ Haralds letzter Satz ahnen: "Vielleicht sollte ich einfach öfter das Hemd wechseln …"