Buchmesse Buchübersetzerin aus Magdeburg
Die aus Magdeburg stammende Maria Hummitzsch sitzt auf der Leipziger Buchmesse im Übersetzungszentrum. Sie war auch die Mitbegründerin.
Leipzig l Die Seite auf dem Bildschirm ist unbeschrieben weiß, der Cursor blinkt erwartungsvoll und wartet auf Buchstaben. Ein erster Satz ist am Entstehen. Einzelne Buchstaben ergeben Worte, Worte werden zu Sätzen. Es folgen Abschnitte, Kapitel, am Ende ein ganzes Buch, manchmal über 300 Seiten mühevolle Arbeit, bei der nicht allein nur ein gutes Wörterbuch hilfreicher Begleiter ist. „Die deutsche Sprache hat die Eigenschaft sehr präzise zu sein. Eine englische Beschreibung wie ‚dirt trail‘ kann falsch übersetzt zum schmutzigen Pfad werden, dabei handelt es sich erst mal nur um eine unbefestigte Straße. Oder einen Weg, der eben kleiner ist als eine Straße. Ich muss bei meinem Arbeiten einfach wissen, was die Autorin in ihrem Buch meint, also habe ich sie kurzerhand um Fotos zu dieser Situation gebeten. Am Ende habe ich mich bei der Übersetzung für das Wort „Piste“ entschieden“, erklärt Maria Hummitzsch. Wenn es um Sprache geht, strahlen ihre blauen Augen.
Das kleinteilige Herantasten von Buchübersetzungen ähnelt dem des Schreibens, und doch hat Maria Hummitzsch einen Vorteil. Für sie gibt es so etwas wie ein Geländer. Denn vor ihr saß auch die junge afrikanische Schriftstellerin Imbolo Mbue vor einem blinkenden Cursor und einer weißen Seite. Wie Maria Hummitzsch füllte die Kamerunerin Seite für Seite mit ihrer Romangeschichte „Behold the Dreamers“. So heißt das Geländer, an dem sich Maria Hummitzsch in ihrem Büro mehrere Monate entlanghangelte, um Mbues Buch eine deutsche Stimme zu geben. Das Buch mit dem deutschen Titel „Das geträumte Land“ erzählt die Geschichte einer Familie aus Kamerun, die nach New York kommt und sich dort mühsam durchzuschlagen versucht. Glück gibt es ebenso wie Momente großer Not. Ein emotionales Buch, das im Kontext der Bankenkrise mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers erzählt wird. Der amerikanische Verlag zahlte an die bis dato unbekannte Autorin eine Vorschusssumme von einer Million Dollar für ihr Debüt.
Mehrere Monate lang hat Maria Hummitzsch an der Übersetzung gearbeitet. „Ich weiß bei vielen Worten natürlich, was sie bedeuten, aber das wiederum heißt nicht immer, dass ich auch gleich das deutsche Wort parat habe, vor allem wenn es um Slangbegriffe geht“, erklärt sie. In ihrer Übersetzung kam hinzu, dass das Buch im Original Einfluss von Pidgin-Englisch hatte, jener Behelfs- und Kontaktsprache, die sich unter Kolonialbedingungen u.a. auch in Kamerun herausgebildet hat, wo die Neuankömmlinge herkommen. Und genau das war dann auch die Herausforderung für die 36-jährige Übersetzerin. Wie übersetzt man solche Soziolekte ins Deutsche, das diese Form so nicht kennt?
In den 1950er und 60er Jahren haben Übersetzer Afroamerikaner in deutschen Büchern gerne Dialekte wie Schwäbisch oder Bayrisch gegeben, um das „Andere“ auszudrücken. „Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, versuchen die deutsche Sprache in der Struktur ihrer Muttersprache auszudrücken. Viele Türken sagen zum Beispiel ‚Gehe ich Kaufhaus‘, nicht weil sie nicht in der Lage sind einen deutschen Satz zu bilden, sondern weil es im Türkischen weder eine Präposition gibt noch einen bestimmten oder unbestimmten Artikel. Sie übertragen einfach ein bekanntes Sprachkonzept ins Deutsche. So was kann ich für Literatur nutzen, wenn ich es weiß.“
Beim Übersetzen liegt auf dem Schreibtisch von Maria Hummitzsch in Leipzig ein klassisches Wörterbuch ebenso neben der Tastatur wie ein Synonymwörterbuch, der Duden, einzelne selbst erstellte Wortlisten, aber es findet sich auch ein weiterer Computer. „Bei Mbues Buch habe ich auch im Internet recherchiert, als es um traditionelle Kleidung ging, ich habe bei Google Maps geschaut, ob es Brücken und Häuser wirklich gibt, ich habe mir eine Dokumentation über die Lehman-Pleite angeschaut, um zu verstehen, wie diese Krise auf die Menschen wirkte.“ Maria Hummitzsch ist gebürtige Magdeburgerin. Weil ihre Mutter als Allgemeinmedizinerin arbeitet, zieht die Familie in Marias Kindheit immer mal um. Später stärkt ein Austauschjahr in den USA bei ihr das Bewusstsein für Sprache. Irgendwann nach dem Abitur stellt sie fest, dass es ihr die Literatur angetan hat.
In Leipzig folgt das Studium, allerdings erst mal nur eines für Fachtext-Übersetzung. In Erinnerung bleiben die Worte des Institutsleiters: „Wenn jemand im Raum sitzt, der glaubt, er könne mit dem Übersetzen von Literatur sein Geld verdienen, sollte er schnell wieder nach Hause gehen.“
Wichtig ist für Maria Hummitzsch die Entdeckung einer weiteren Sprache neben dem Englischen. „Portugiesisch hat meinen Lebensweg geprägt. Ich ging von der Uni aus nach Lissabon, lebte dort und lernte die Sprache, später zog es mich dann nach Florianópolis in Brasilien, wo auch meine Tochter zur Welt kam“, erzählt sie. „Eine Professorin gab mir dort eine erste Kurzgeschichte, die ich übersetzen sollte. Und ich habe Feuer gefangen und gemerkt, dass Übersetzen keine fixe Idee war, sondern eine Veranlagung.“ 2011 beendet Maria Hummitzsch ihr Studium. Im selben Jahr wird auch bekannt, dass auf der Frankfurter Buchmesse 2013 Brasilien das Gastland wird. Zu dieser Zeit gibt es nur gut zwei Handvoll Literaturübersetzerinnen aus dem Portugiesischen. Rund 70 bis 80 Bücher sollen zur Buchmesse veröffentlicht werden. Einige Verlage erinnern sich an Maria Hummitzsch. Wieder bringt sie ein Zufall weiter. Ulrich Blumenbach, der Übersetzer der Werke des US-Kultautors David Foster Wallace, schaut sich die Arbeiten von Maria Hummitzsch an und empfiehlt sie an den renommierten Verlag „Kiepenheuer & Witsch“ in Köln.
Maria Hummitzsch hat Glück und versteht ihr Handwerk. 2011 übersetzt sie das Buch „Go to Sleep“ der britischen Autorin Helen Walsh ins Deutsche. Nach dem Debüt geht es munter weiter, der Knoten platzt im wahrsten Sinne. Im Arbeitszimmer der 36-Jährigen liegen heute ihre übersetzten Bücher dicht an dicht. „Der abgetrennte Kopf“ von Iris Murdoch, „Mann im Zoo“ von David Garnett, „Blaue Blumen“ von Carola Saavedra. Auf zwei Titeln steht direkt auf dem Cover sogar ihr Name. Es hat sich in den vergangenen Jahren einiges zum Vorteil für die deutschen Übersetzer entwickelt. Die Honorare von bis zu 24 Euro pro Buchseite stagnieren zwar, aber Übersetzerinnen werden bei guten und fairen Verlagen am Verkauf der Bücher beteiligt, und auch die Sichtbarkeit hat deutlich zugenommen. Vor zwanzig Jahren stand der Name des Übersetzers noch eher unbedeutend im Impressum. Sogar in Rezensionen nennen die Kritiker inzwischen oft die Namen der deutschen Stimme.