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Spurensuche Der Emigrant Stefan Zweig und "Das unmögliche Exil"

Ein großer Europäer ohne Vaterland - George Prochnik beschreibt das dramatische Scheitern des Schriftstellers und Weltbürgers Stefan Zweig im Exil.

Von Sibylle Peine, dpa 31.01.2017, 13:35
Stefan Zweigs Haus in der brasilianischen Stadt Petrópolis in der Rua Gonçalves Dias 34 ist heute Museum und Kultur- und Bildungsstätte. Foto: Helmut Reuter
Stefan Zweigs Haus in der brasilianischen Stadt Petrópolis in der Rua Gonçalves Dias 34 ist heute Museum und Kultur- und Bildungsstätte. Foto: Helmut Reuter dpa

Berlin (dpa) - Am Nachmittag des 23. Februar 1942 machte die Hausangestellte Stefan Zweigs eine furchtbare Entdeckung. Sie fand den Dichter und dessen Frau Lotte tot in ihrem Bett. Das Paar hatte sich mit einer Überdosis Veronal das Leben genommen.

In einem bewegenden Abschiedsbrief begründete Stefan Zweig den Freitod im brasilianischen Exil: "Wir liebten dieses Land sehr, aber es blieb immer ein provisorisches Leben, fern von unserer Heimat und unseren Freunden. Und für mich wurde mit sechzig Jahren der Gedanke unerträglich, noch Jahre in dieser schrecklichen Zeit warten zu müssen. Wir beschlossen, in Liebe verbunden, einander nicht zu verlassen."

Wie Stefan Zweig wurden während der Nazizeit viele bedeutende Schriftsteller ins Exil gezwungen, weil sie als Juden oder Kommunisten in Todesgefahr schwebten oder weil sie sich als kritische Intellektuelle dem menschenverachtenden Geist der Nationalsozialisten nicht unterwerfen wollten. Die meisten dieser Emigrierten kamen im Exil eher schlecht zurecht, viele waren bitterarm, fast alle fühlten sich abgetrennt von Heimat, Sprache und Kultur. Doch nur wenige gaben sich am Ende komplett auf.

Stefan Zweig war vermögender, kosmopolitischer und besser vernetzt als die meisten seiner Kollegen. Warum also endete ausgerechnet sein Exil so tragisch? Der Amerikaner George Prochnik hat sich auf die Spuren des Dichterfürsten begeben, er folgte Stefan Zweig ins Exil nach England, in die USA und schließlich nach Brasilien. Herausgekommen ist nicht nur das einfühlsame Porträt eines entwurzelten Intellektuellen, sondern eine Studie über die Mühen und Zumutungen des Exils, die von brennender Aktualität ist.

In seinem englischen Exil, wo Stefan Zweig sich bis 1940 aufhielt, wurde der erfolgsverwöhnte Bestsellerautor ("Sternstunden der Menschheit") selbst Anlaufstation für viele Flüchtlinge, die sich von dem reichen und prominenten Mann Unterstützung erhofften. Obwohl Zweig sehr hilfsbereit war, wurde ihm der Ansturm dann doch zu viel. "Die Leute wollen alle etwas und lassen einem, wie noch nicht zimmerreine Hunde den Dreck im Zimmer, etwas von ihren Sorgen und Nöten im Kopf zurück, der bedenklich nach Kuhstall aussieht und dunstet", klagte er nicht gerade freundlich in einem Brief an einen Freund über die "Flüchtlingslawine", die ihn heimsuchte.

Doch mit den weniger begüterten Emigranten teilte Zweig das Gefühl der "Vaterlandslosigkeit" und die Erfahrung, dass man "überall, wo man Fuß gefasst hat, in jedem Augenblick zurückgestoßen werden kann." Da ihm England vor dem Zugriff der Nazis nicht sicher genug erschien, ging er schließlich in die USA, wo der überzeugte Europäer jedoch erst recht nicht heimisch wurde. Es fehlten ihm die Caféhäuser, das intellektuelle Umfeld, der Austausch mit Gleichgesinnten, und ja sogar die öffentlichen Verkehrsmittel für seine Mobilität.

Brasilien wiederum, in das Zweig 1940 mit seiner zweiten Frau Lotte übersiedelte, erschien ihm zunächst wie eine Erlösung. Es war geografisch und atmosphärisch maximal entfernt von Europa und seiner "wahnwitzigen Überreiztheit" und "Gehässigkeit". Er schätzte die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit der Bewohner. Hier wurde er respektiert, ja verehrt. Doch auch dieses Land, so musste er erkennen, hatte seine Spielregeln. So warfen ihm Linksintellektuelle bald eine zu große Nähe zum diktatorischen Präsidenten Getúlio Vargas vor.

Am Ende wurde Petrópolis für den Schriftsteller Zufluchtsort, aber nie Heimat. Er lebte in seinen Erinnerungen an "Die Welt von Gestern", hatte keine Kraft mehr für einen Neuanfang. George Prochniks in Rückblenden geschriebenes Buch ist eine Hommage an einen großen Europäer, der trotz aller Weltbürgerlichkeit die bittere Erfahrung machen musste, dass Heimat mehr ist als "ein Fleck umgrenzter Erde". Es ist die melancholische Erzählung über einen Humanisten, der mit seinem Land auch sein geistiges Zuhause verlor und es in der Ferne nie wieder fand.

- George Prochnik: Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt, C.H.Beck Verlag, München, 397 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-406-69756-2,

Das unmögliche Exil