Die eigensinnige First Lady: Mildred Scheel
Liebeserklärung an eine couragierte Frau. In ihrer Biografie schildert Cornelia Scheel voller Warmherzigkeit das Leben und Sterben ihrer Mutter Mildred.
Berlin (dpa) - Als Mildred Scheel schwer an Krebs erkrankte, durfte die Öffentlichkeit nichts davon wissen. Denn es war zu tragisch, dass ausgerechnet die Gründerin der Deutschen Krebshilfe, diese Vorkämpferin für einen offeneren Umgang mit dieser Krankheit, nun selber an einem tödlichen Darmkrebs litt.
Sie wollte Millionen von Krebskranken nicht entmutigen, deshalb sollte außerhalb des engsten Familienkreises niemand von ihrem Schicksal erfahren. Cornelia Scheel (52), die älteste Tochter Mildred Scheels, beschreibt in ihrer Biografie über ihre Mutter, wie schwer es war, diese Geheimhaltung aufrechtzuerhalten.
Die Frau des früheren Bundespräsidenten Walter Scheel war unter dem Namen Frau Meyer in die Klinik eingeliefert worden und lag dort abgeschirmt im 16. Stock. Wenn ihr Mann sie besuchen wollte, musste er sich im Schutz der Dunkelheit über einen Hintereingang fast heranschleichen. Auch konnte die Kranke niemals ihr Zimmer verlassen, selbst als sie dazu körperlich noch in der Lage gewesen wäre: Diese unverschuldete Form der "Einzelhaft" bedrückte sie, obwohl sie diese freiwillig gewählt hatte.
Die Passagen, in denen Cornelia Scheel über das Leiden und Sterben ihrer Mutter schreibt, sind sicherlich die berührendsten in ihrer Biografie. Man spürt, dass der Schmerz über den allzu frühen Verlust noch immer andauert. Mildred Scheel (1931-1985) wurde nur 53 Jahre alt. Bis heute ist der Name der ehemaligen First Lady untrennbar mit der Deutschen Krebshilfe verbunden. Doch hinter diesem offiziellen Bild, das viele Ältere noch in Erinnerung haben, gibt es auch den Menschen Mildred Scheel, an den sich die Tochter erinnert.
Cornelia Scheel schildert ihre Mutter als eine warmherzige, couragierte, aber auch überraschend unkonventionelle, ja eigensinnige Frau. In Kleiderfragen zum Beispiel hatte die First Lady ihren ganz eigenen Stil. Ihre gewagten Kombinationen waren dem pingeligen Ehemann meist etwas peinlich. Nicht jedoch Mildred Scheel. Sie wählte die Kleidung je nach Stimmungslage aus: Diese Tatsache ließ dem Bonner Protokoll stets das Blut in den Adern gefrieren. Einmal wurde Mildred Scheel sogar zu der am schlechtesten angezogenen Frau des Jahres gewählt. Sie amüsierte sich königlich darüber, denn sie hasste Modediktate.
Ein weiterer Alptraum fürs Protokoll war es, wenn Mildred Scheel bei einem Festbankett die Sitzordnung nicht passte. Hatte man sie zum Beispiel neben einen Langweiler platziert, tauschte sie einfach kurz vor der Veranstaltung die Sitzkarten aus und sorgte so für einen amüsanteren Tischnachbarn. Mildred Scheel war auch eine Frau mit bizarren Macken, so war sie sehr abergläubisch. Sie praktizierte merkwürdige Klopfrituale oder fürchtete sich vor geöffneten Regenschirmen in Räumen.
Als Köchin war sie zwar nicht sehr begabt, dafür aber umso eigenwilliger. Wenn sie etwa wissen wollte, ob ihre Spaghetti al dente waren, warf sie einfach einige an die Decke. Blieben sie dort kleben, waren sie okay. Mit der Zeit bildeten die angeklebten Spaghetti an der Decke eine Art Kunstwerk.
Nicht immer war das Zusammenleben einfach, manches blieb unausgesprochen. So wagte es die Tochter nicht, der Mutter ihre lesbischen Neigungen zu gestehen (Cornelia Scheel ist seit langem die Lebensgefährtin der Komikerin Hella von Sinnen). Andererseits verschwieg die Mutter ihrer Tochter, dass sie sie die ersten zwei Lebensjahre in ein Waisenhaus gegeben hatte. Mildred Scheel war in dieser Zeit eine alleinerziehende, berufstätige Mutter.
Zu ihrem leiblichen Vater, dem Produzenten Robert Stemmle, hatte Cornelia Scheel keinen Kontakt. Über die Beziehung ihrer Eltern äußert sich die Autorin - anders als zur Ehe von Mildred und Walter Scheel - ausgesprochen sparsam. Ansonsten ist ihr ein offenherziges, sehr persönliches Buch gelungen, eine zärtliche Liebeserklärung an ihre Mutter.
- Cornelia Scheel: Mildred Scheel. Erinnerungen an meine Mutter, Rowohlt Verlag, Reinbek, 240 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3498-06087-9.