Kunst Das Comeback "entarteter Kunst" in Halle
Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle rekonstruiert seine von den Nationalsozialisten zerstörte Sammlung. Ein Vorab-Bick in die Schau.
Halle l Kunstmuseums-Direktor Thomas Bauer-Friedrich verweilt vor dem Halbrund mit sechs Feininger-Gemälden. Der Bauhaus-Meister Lyonel Feininger hatte einst die Stadt porträtiert, war dafür 1929 in das oberste Geschoss des Torturmes der Moritzburg gezogen. Dass sieben der damals entstandenen Arbeiten – sechs hängen im Verbund nebeneinander – am Ursprungsort gezeigt werden können, ist für Bauer-Friedrich das „besondere Highlight“ der an Höhepunkten wahrlich reichen Ausstellung. Drei Arbeiten aus der eigenen Sammlung und vier Leihgaben konnten vom Halle-Zyklus zusammengetragen werden. Gern hätte das Museumsteam alle zehn Arbeiten gezeigt (eine wurde im Krieg zerstört). Aber selbst größte Überredungskunst konnte konservatorische Bedenken nicht zerstreuen.
Als Feininger 1928 von Alois J. Schardt mit den Halle-Arbeiten beauftragt worden war, gehörte das Kunstmuseum mit seinen Werken des Expressionismus, Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit zu den führenden Häusern in Europa. Schardt war Museumschef, einer der Nachfolger von Max Sauerlandt, der das Haus von 1908 bis 1919 leitete und mit seiner Sammelleidenschaft und einer gehörigen Portion Zuversicht den Grundstock gelegt hatte für ein Museum, das auf Kunst der Moderne setzte. Schon damals erntete er keineswegs nur Beifall.
Als Schardt ging, das war 1935, zogen bereits dunkle Wolken über das Deutsche Reich. Nur zwei Jahre nach seinem Weggang initiierten die Nationalsozialisten in München die Diffamierungsausstellung „Entartete Kunst“ – mit etlichen Arbeiten auch aus der Saalestadt. Oskar Kokoschka, Erich Heckel, Karl Schmidt Rottluff waren darunter, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Wassily Kandinsky. Die Nazis hatten zwischen Berlin und München aus etlichen Museen Kunstwerke konfisziert, teilweise verkauft, gar zerstört. Auch Halle war Ziel dieses unsäglichen Raubzuges. Das Kunstmuseum verlor seine bedeutungsvolle Sammlung der Moderne – allein 146 Werke.
Es tröstet etwas über den immensen Schaden hinweg, dass bis heute 15 Arbeiten wieder für die Sammlung erworben werden konnten. Dass nun aber einst verfemte und schmerzlich aussortierte Kunst in großem Stil gezeigt werden kann, ist, das sieht man Museumschef Bauer-Friedrich an, beglückend.
Emil Noldes „Abendmahl“ aus dem Kunstmuseum Kopenhagen ist nach mehr als 80 Jahren in Halle zu sehen. Sauerlandt hatte es 1913 angekauft. Auch Noldes „Mulattin“ kehrt zurück. Das Öl-Gemälde von 1913 war seit der Beschlagnahme 1937 nur ein einziges Mal außerhalb der USA verliehen worden. 1982 wurde es in Düsseldorf gezeigt, jetzt hat es für die Comeback-Ausstellung ein zweites Mal Amerika verlassen. Andere Leihgaben kommen aus Museen und privaten Sammlungen aus der Schweiz, Großbritannien, Japan, Schweden, Österreich. 40 der einst 147 als „entartete Kunst“ gebrandmarkten Werke rekonstruieren jetzt auf Zeit die historische Moderne-Sammlung.
Den Leihgaben zur Seite gestellt werden selten bzw. teilweise noch nicht gezeigte Arbeiten aus dem eigenen Musemsbestand. Für den Bauhaus-Meister-Teil – auch Kandinsky, Klee, Muche, Schlemmer, Feininger werden im 100. Gründungsjahr des Bauhauses vom Kunstmusuem gefeiert – kommen weitere 34 Leihgaben von 20 europäischen Leihgebern hinzu. Insgesamt 350 Arbeiten kann der Besucher erfahren, mehr als 1000 Quadratmeter Fläche werden bespielt. „Es ist finanziell und kräftemäßig unser umfangreichstes und ambitioniertestes Ausstellungsprojekt“, sagt Bauer-Friedrich, der den Etat aber nicht preisgeben mag. Nur soviel: Ein geringer Millionenbetrag. Bund, Land, Stiftungen sind wichtige Geldgeber.
Ab Sonntag ist das gesamte Haus eine große Sonderausstellung – mit einer gänzlich neuen Raumerfahrung durch eingezogene und zugleich wieder geöffnete Wände. Eine Treppe wurde extra eingebaut.
Über Feiningers Gemälde-Zyklus erzählt eine riesige Leinwand von den einst visionären Plänen, der Stadt Halle ein neues Kunstmuseum zu bescheren. Der große Bauhaus-Meister Walter Gropius hatte 1927 seine Ideen auf Papier gebracht. Das Haus wurde nie gebaut, ist jetzt aber durch Virtual-Reality-Technologie nicht nur von außen sichtbar, sondern auch von innen begehbar. Sämtliche Werke hängen im virtuellen Raum. Erfahrbar wird die bis Sommer 1937 existente Sammlung moderner Kunst, auch das zerstörte und im Verbleib Unbekannte. Da kann der Besucher dann doch die vollständige Halle-Serie Feiningers erfahren. Den spektakulären Rundgang durch das virtuelle Museum ermöglicht der Fachbereich Multimedia/VR-Design der Kunsthochschule Burg Giebichenstein.
Dass im Ausstellungstitel nicht nur Bauhaus, Meister und Moderne zu finden sind, sondern „Das Comeback“ hervorgehoben wird, war zwar anfangs nicht so gedacht, aber doch die sehr richtige Entscheidung. Das Bauhausjubiläum schließlich wird seit neun Monaten schon allerorten gespielt. Da treten Ermüdungserscheinungen auf. Aber die Rekonstruktion dieser Sammlung ist nun wirklich das Außergewöhnliche.