Fernsehen Das Sandmännchen wird 60 Jahre alt
Das Sandmännchen aus dem Gutenacht-Programm hat sich vom Kind des Kalten Krieges zum gesamtdeutschen Fernsehstar gemausert.
Berlin l Es hat einen weißen Spitzbart, trägt eine rote Zipfelmütze und benutzt gerne auffällige Fahrzeuge – von der Taucherglocke bis zum fliegenden Teppich. Jetzt feiert das Sandmännchen 60. Geburtstag: Am 22. November 1959 lief im DDR-Fernsehen die erste Gute-Nacht-Geschichte mit dem süßen Traumbringer, dem nach wie vor allabendlich mehr als eine Million Fans zuschauen. Kaum zu glauben, dass der niedliche Wicht ein Kind des Kalten Kriegs ist.
Der Premiere war ein kurioses TV-Wettrüsten im geteilten Berlin vorausgegangen: Das DDR-Fernsehen hatte Wind davon bekommen, dass die Westkonkurrenz vom Sender Freies Berlin an einem Sandmännchen bastelte, und ließ den Regisseur und Puppenbildner Gerhard Behrendt in aller Hast eine Gegenfigur kreieren, bei der Hans Christian Andersens Märchen „Der Sandmann“ Pate stand. Premiere war am 22. November 1959 beim Deutschen Fernsehfunk, der ARD-Kollege trudelte am 1. Dezember 1959 nach.
Seit damals reist die liebenswerte Puppe jeden Abend per Bimmelbahn oder Betonmischer, Schlitten oder Schiff, Rikscha oder Rakete an, und präsentiert als Betthupferl kleine Filmchen. Mit den Worten „Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön, dann will auch ich zur Ruhe geh’n“ und einer Prise Schlafsand schickt das Sandmännchen die Kinder danach ins Reich der Träume. In der allerersten Folge war der weißbärtige Wicht zu Fuß unterwegs und schlief nach der Arbeit erschöpft im Schnee ein, weshalb ihm besorgte Kinder in Briefen ihre Bettchen anboten.
Die Geschichte des Sandmännchens bis 1989 ist auch ein Spiegel des DDR-Alltags. So marschierte der Wicht, in dessen Traumsand sich bisweilen ein Körnchen sozialistischer Ideologie fand, 1981 in einem Pionier-Spielmannszug mit, machte sich in den 70ern für das Wohnen im Plattenbau stark, tanzte durch den Palast der Republik und besuchte regelmäßig befreundete sozialistische Länder – er sonnte sich auf Kuba oder besichtigte den Roten Platz in Moskau.
Legendär ist sein Abstecher ins All: Als Sigmund Jähn 1978 als erster Deutscher ins All flog, hatte er eine Sandmännchen-Puppe im Gepäck. Sein sowjetischer Kollege brachte die Fernsehpuppe Mascha mit, und die Figürchen feierten im Raumschiff vor laufender Kamera spontan Hochzeit.
Nach dem Fall der Mauer entbrannte ein zweites Duell, denn im Fernsehen war nur Platz für ein Sandmännchen. Der Ost-Wicht siegte, sein Westkonkurrent landete auf dem Abstellgleis. Zuvor hatten die kleinen Kerlchen den Kindern hüben und drüben jahrzehntelang unterschiedliche Trickfilme mitgebracht. In der Bundesrepublik waren das naive Schweinchen Piggeldy und sein altkluger Freund Frederick beliebt, in der DDR waren es Herr Fuchs und Frau Elster, Kobold Pittiplatsch und die Ente Schnatterinchen.
Rechtzeitig zum Jubiläum gibt es 13 neue „Pittiplatsch“-Folgen (ab 26. November), für die Kobold und Co. sanft modernisiert wurden. Der RBB würdigt das Geburtstagskind am 22. November um 20.15 Uhr außerdem mit der Dokumentation „60 Jahre süße Träume“ und mit einem eigenen Jubiläumssong, schon seit Juni sitzt er als Skulptur auf einer Bank vor dem Fernsehzentrum des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Das Sandmännchen entsteht unter Federführung des RBB und läuft im Sender Kika täglich um 18.50 Uhr.
Rund 22.000 Ausgaben gab es bisher, nur selten ist die Gutenacht-Sendung ausgefallen – eine der wenigen Ausnahmen war der Todestag des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl anno 1964.