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Marion Braschs Buch "Ab jetzt ist Ruhe" veröffentlicht die Volksstimme ab Montag als neuen Fortsetzungsroman "Die Geschichte unserer Familie ist voller Risse"

25.04.2012, 03:25

Ihr Vater war zu DDR-Zeiten stellvertretender Kultusminister. Die drei Brüder rebellierten gegen ihn. Jetzt hat Marion Brasch, die Tochter und einzige Familienüberlebende, die Geschichte der Familie aufgeschrieben. Grit Warnat hat mit der Berliner Journalistin über "Ab jetzt ist Ruhe" gesprochen. Es ist der neue Fortsetzungsroman.

Volksstimme: Sie untertiteln ihr Buch mit "Roman meiner fabelhaften Familie". Wenn man Ihr Buch liest, denkt man eher, sie hatten eine komplizierte, eine zerrissene Familie.

Marion Brasch: Das war sie auch. Es ist ironisch gemeint, eine Umkehrung des Begriffes. Damit spiele ich, weil ich diese Familiengeschichte bei aller Dramatik auch mit einer gewissen Leichtigkeit erzählen wollte.

Volksstimme: Was hat Sie jetzt bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Brasch: Es gab keinen konkreten Grund. Es gab Freunde, die immer gesagt haben, schreib das doch auf. Irgendwann hatte ich den Anfang geschrieben, jemandem gezeigt, der mich nicht so gut kannte und objektiv war, und er sagte: mach weiter. Dann hab ich einige Seiten dem Verlag gegeben, und der sagte auch, mach weiter.

Volksstimme: Es ist ein Roman geworden, warum keine Biografie oder Autobiografie?

Brasch: Eine sachlich aufgeschriebene Biografie kam für mich nie in Frage, da fehlt mir die Distanz, und eine Autobiografie wollte ich auch nicht schreiben, dafür fühlte ich mich nicht bedeutend genug.

"Sicher wird mancher auch denken, wow, die hat es aber gut gehabt."

Volksstimme: Nennen Sie deshalb im Buch keine Namen, umschreiben alle Personen? Selbst ihre Brüder nennen Sie nicht beim Vornamen, auch Katharina Thalbach, die damalige Freundin ihres Bruders Thomas, nicht. Sie beschreiben sie als die Schauspielerin mit den tiefen Augen. Setzen Sie damit nicht zu viel Hintergrundwissen bei Ihren Lesern voraus?

Brasch: Wenn ich richtige Namen benutzt hätte, wäre es eben diese Biografie, das Dokumentarische geworden. Das wollte ich nicht. Katharina Thalbach, Rio Reiser, Heiner Müller zum Beispiel sind begleitende Randfiguren, mancher Leser wird sie erkennen, mancher nicht. Zu wissen, um wen es sich da handelt, ist nicht entscheidend, um diese Familiengeschichte lesen zu können.

Volksstimme: Ein Roman hat auch immer etwas Fiktives in sich.

Brasch: Sie wissen ja nicht, was ich mir alles ausgedacht habe. Es sind Geschichten und Figuren dabei, die vielleicht so nicht existiert haben. Ich musste Gedanken, Dialoge erfinden und inszenieren. Doch alle Geschichten, die mit meiner Familie zu tun haben, stimmen, die Fakten sind verbrieft.

Volksstimme: Sie sind jüdischer Abstammung. Ihre Familie hat sich damit nicht besonders identifiziert. Sie beschreiben, dass auch Ihnen das Jüdische fremd blieb. Warum?

Brasch: Wir haben keine jüdischen Traditionen gelebt, mir fehlt auch von Hause aus die Identifikation mit dem jüdischen Glauben. Ich habe nach diesen Wurzeln gesucht, habe viel gelesen. Ich habe auch versucht, die Stimme meines Blutes zu hören, aber sie blieb stumm.

Volksstimme: Sie geben viel Privates preis, schreiben über Ihre Liebesbeziehungen, Ihren Buchdiebstahl in Ungarn, und dass Ihr Vater Ihnen zum 20. Geburtstag 7200 Mark geschenkt hat. Wie schwer fiel es Ihnen, Persönliches öffentlich zu machen?

Brasch: Das war für mich kein Problem. Ja, das Geldgeschenk war die Lebensversicherung, die mein Vater für mich abgeschlossen hatte. Das war nicht so ungewöhnlich, glaube ich. Doch sicher wird mancher auch denken, wow, die hat es aber gut gehabt.

Volksstimme: Das denkt man auch bei Ihrer Reise nach London zu Ihrem Großvater, die Ihr Vater Ihnen ermöglicht hat.

Brasch: Das alles gehörte zu meinem Leben, ich will ja keinen Voyeurismus bedienen, sondern eine Geschichte von meinem Vater erzählen, der mir die Stadt zeigen wollte, in die er einst ins Exil gehen musste. Sie ist auch wichtig, um ihn besser verstehen zu können. Wenn man nur ein kurzes Spotlicht auf ihn wirft, ist er der dogmatische, kalte, linientreue Funktionär. Dann ging er mit Scheuklappen durch die Welt.

Volksstimme: Wie bei der Beerdigung Ihres ältesten Bruders. Ihr Vater reiste dienstlich nach Japan.

Brasch: Ja, so war er. Er hatte aber auch eine andere Seite. Er war auch warmherzig, großzügig und sehr aufrichtig, Vetternwirtschaft war ihm zuwider.

"Die Atmosphäre in der Familie war immer stark politisch aufgeladen."

Volksstimme: Ihre Familie hatte anfangs eine Haushälterin, wohnte am Alexanderplatz. Ein Fahrer brachte Sie in den Kindergarten. Waren Sie sich bewusst, welche Privilegien das waren?

Brasch: Als ich klein war, noch nicht. Ein Fahrer hatte mit dem Tatra meinen Vater zur Arbeit chauffiert und mich weiter zum Kindergarten. Das war ja Alltag für mich. Ich kannte es nicht anders. Ein stellvertretender Kulturminister hatte eben einen Fahrer. Aber mein Vater hat das nicht ausgenutzt. Er hatte moralische Werte und er hat uns zu einer großen Bescheidenheit erzogen.

Volksstimme: Sie schildern ihn als autoritären, linientreuen Menschen. Ihre drei Brüder rebellierten gegen den Funktionärsvater. Sie beschreiben, wie das Familienleben darunter litt.

Brasch: Die Atmosphäre in der Familie war immer sehr stark politisch aufgeladen. Vor allem zwischen meinem Vater und Thomas. Den ersten großen Konflikt hatte es gegeben, als mein Vater ihn vier Jahre auf die Kadettenschule nach Naumburg schickte. Da gab es die erste Desillusionierung, weil mein Bruder unbedingt zurück wollte und nicht durfte. 1965 dann seine Exmatrikulation von der Uni, 1968 seine Proteste anlässlich des Prager Frühlings. Mein Bruder wurde inhaftiert, mein Vater daraufhin nach Karl-Marx-Stadt strafversetzt. Es gab in der Familie immer öfter Diskussionen, dabei war der politische Konflikt eigentlich gar nicht vorhanden. Thomas wollte den Sozialismus - nur anders, er sagte sogar, er sei der bessere Kommunist. Doch ihm wurde keine Chance gegeben, etwas zu verändern. Mein Vater sagte: Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich. Ich stand oft zwischen den Fronten, das war für mich schwer auszuhalten.

Volksstimme: Sie waren damals die Brave.

Brasch: Ja, die war ich. Für meinen Vater bin ich opportunistisch geworden. Ich wollte ihm nicht wehtun. Ich wollte ihm das Gefühl geben, nach seinen "verlorenen Söhnen" bei seiner Tochter alles richtig gemacht zu haben.

Volksstimme: Haben Sie sich immer im Schatten der Brüder gesehen?

Brasch: Alle drei waren Künstler und zum Teil sehr selbstbezogen, da hatte ich als kleine Schwester nichts zu melden. Aber je erwachsener ich wurde, desto stärker habe ich mich auch emanzipiert - von meinen Brüdern und vor allem von meinem Vater.

Volksstimme: Sie spielten in einer Band, sind aber die einzige in der Familie, die keinen künstlerischen Weg eingeschlagen hat. Warum?

Brasch: Ich wusste nie so richtig, was ich wollte, ich hatte nie eine große Leidenschaft. Meine Brüder wollten mehr, da war ein Brennen für das Schreiben oder die Schauspielerei. Ich habe mich eher treiben lassen.

"Ich bin kein Friedhofsgänger. Alle fünf sind ja bei mir."

Volksstimme: Sie erlebten, wie ihre Brüder frühzeitig gestorben sind, beschreiben deren Drogen-, Alkohol- und Tablettenkonsum. Sie geben keinem die Schuld daran. Trägt niemand Schuld?

Brasch: Ich werde oft gefragt, ob der Grund dafür im autoritären System in der DDR läge. Ich glaube, das wäre zu einfach. Die Geschichte meiner Familie ist kompliziert, das war sie immer schon. Es gab schon in den Generationen davor viele frühe Tode durch Selbstzerstörung - das hat nicht notwendigerweise etwas mit politischen Systemen zu tun.

Volksstimme: Trotz der Tragik, des vielen Schmerzes haben Sie ein leichtes, manchmal ein heiteres Buch geschrieben.

Brasch: Die Geschichte unserer Familie ist voller Risse. Immer ging jemand. Die Familie verschwand. Das war tragisch, aber dazwischen hat ein normales Leben stattgefunden. Trotz dieser Einschnitte habe ich eine glückliche Kindheit gehabt. Ich wollte keine bleischwere Geschichte erzählen. Ich wollte vor allem, dass es meine jetzt 19-jährige Tochter gern liest und mein Leben und das Leben meiner Familie in der DDR versteht.

Volksstimme: Am Ende Ihres Buches fahren Sie an die Gräber Ihrer Familie. Warum dieses melancholisch-traurige Ende?

Brasch: So traurig finde ich das gar nicht. Das war so an diesem 1. Januar 2002. Das Wetter war toll, ich dachte, ich besuche alle Gräber auf den Friedhöfen. Das mache ich nicht oft, ich bin kein Friedhofsgänger. Alle fünf sind ja bei mir. Und ich denke viel an sie.

Die Volksstimme veröffentlicht das Buch ab Montag.