Göbekli Tepe in Mesopotamien Die Morgendämmerung der Menschheit
Im türkischen Teil Mesopotamiens beginnen Steinzeitmenschen vor 12.000 Jahren mit der Errichtung großer Kultstätten. Jahrtausende später wird in der Region Abraham geboren. Und eine Lehre für die Gegenwart findet sich dort auch.
GÖBEKLI TEPE/MAGDEBURG. - Die unglaubliche Geschichte beginnt mit dem Ende der letzten Eiszeit, wodurch auch im nördlichen Teil Mesopotamiens die Durchschnittstemperaturen schnell anstiegen. Dort, im fruchtbaren, durch umliegende Höhenzüge windgeschützten Harran-Plateau, das heute in der Türkei liegt, verändert sich schnell die Vegetation. Wildgetreide breitet sich auf großen Flächen aus, darauf folgen Pflanzenfresser und Raubtiere.
Und schließlich betreten hier Steinzeitmenschen eine Region, in der man das Wildgetreide leicht durch Abernten und Fleisch durch die Jagd gewinnen kann.
Die Überschüsse müssen beträchtlich sein, denn vor rund 12.000 Jahren beginnen die Menschen damit, spektakuläre Kultanlagen zu errichten, deren Größe und Qualität sich ohne Weiteres mit Stonehenge vergleichen lassen - nur dass diese Anlage in Südengland 7.000 Jahre später entsteht.
In Karahantepe, Göbekli Tepe und weiteren Orten der Gegend entstehen nun große Kultorte, die zwar noch keine Tempel sind, aber den Weg in diese Richtung weisen.
Voraussetzung dafür sind neben Agrar- und Fleischüberschüssen, um die neuen Arbeiter und Handwerker vom Sammeln und Jagen freizustellen, auch soziale Ordnungen, wie Dr. Fatma Sahin von der Cukurova Universität Adana herausstellt. Denn die organisatorischen Anforderungen für derartige Großbauten sind komplex - das gilt bis heute.
Über fünf Meter hohe Pfeiler
Den frühen Menschen gelingt das Unmögliche. In Karahantepe und Göbekli Tepe entstehen nun Kultstätten mit bis zu 5,50 Meter hohen, monolithischen Pfeilern in T-Form, die kreisförmig angeordnet werden. Etwas später versucht man sich an über sieben Meter hohen Pfeilern aus Kalkstein, die ein Gewicht von rund 50 Tonnen aufweisen. Diese Zahlen verweisen auf enorme technische Fertigkeiten, denn es ist mit einfachen Steinwerkzeugen sehr schwer, Monolithen dieser Größe und Masse aus dem Felsen herauszuschlagen, ohne dass diese zerbrechen. Beim Transport und der Aufrichtung steht man vor dem gleichen Problem. Doch es gelingt.
Die Flächen der Steine verzieren die Menschen wie moderne Künstler mit Darstellungen von Raubtieren, Vögeln, Schlangen und in Göbekli Tepe möglicherweise auch mit der Darstellung eines Greifen, ein Fabelwesen, das Tausende Jahre später in Kulturen Asiens und Europas sowie in Ägypten wiederkehren wird. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Greif bis ins europäische Mittelalter - seine Existenz galt auch damals noch als unstrittig - die Menschen bewegte: Seine sagenhaften Eigenschaften - er konnte fliegen, Feuer speien - und seine Wachsamkeit, Klugheit, aber auch, dass er das Symbol für das Böse und das Chaos war und er dennoch „die Macht“ bekämpfte, geben dem Greif unter den Fabeltieren eine Sonderrolle.
Nebenbei fertigen die Menschen vor Ort das früheste Geschirr, in dem sie Schüsseln und größere Teller monolithisch aus Stein herausschlagen. Es ist daher durchaus berechtigt, hier vom „Nullpunkt der Geschichte“ zu sprechen.
Entdeckt wird zuerst Göbekli Tepe 1994 vom deutschen Archäologen Klaus Schmidt. Bekannt war, dass an einigen Stellen der Region die Oberseiten der T-Pfeiler an der Erdoberfläche zu sehen waren, ohne dass man sich viel dabei dachte.
Schließlich erhält Schmidt eine Grabungsgenehmigung und bald zeigt sich, dass man auf eine Sensation in der Geschichte der Menschheit gestoßen ist. Mit Karahantepe graben dann türkische Experten 1997 die nächste Anlage aus, deren Qualität der Erstentdeckung entspricht.
Vergleich mit Stonehenge
In der Türkei sind die archäologischen Institutionen zunächst kein großes Thema, sondern eher eine Insidersache, während man im Ausland sofort den griffigen Vergleich mit Stonehenge zieht. Das erscheint ungewöhnlich, denn prinzipiell ist man in der Türkei seit Atatürk vorislamischen Kulturen aufgeschlossen gewesen. Der Staatsgründer wollte sogar die Hethiter, die in Anatolien zur Großmacht wurden und zeitweise mit Ägypten konkurrierten, zu Vorfahren der Türken in Kleinasien machen - allerdings ohne die geringste historische Verbindung.
Doch dann erscheint eine Titelgeschichte in der US-amerikanischen Zeitschrift „National Geographic“ über die Steinzeit-Kultanlagen. „Ich bekam sofort einen Anruf von der Regierung aus Ankara. Was ist da los, warum wissen wir nichts davon?“, erzählt Mehmet Özdogan, der Nestor der türkischen Urgeschichte, der in Erzählweise und Optik an den Philosophen Peter Sloterdijk erinnert, von der Wende.
Danach forciert Ankara die Ausgrabungen. Jetzt wird auch der Tourismus in der etwas abgelegenen Region massiv ausgebaut. Umgerechnet rund 150 Millionen Euro sollen dafür investiert werden, sagte der türkische Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy im vergangenen Jahr auf einen internationalem Kongress der Steinzeit-Forscher in Sanliurfa.
Das ist unübersehbar. Das Straßennetz in und um die Kernstadt Sanliurfa ist weitgehend neu. Durch einen Flughafen in rund 50 Kilometer Entfernung von Sanliurfa gibt es einen Anschluss an den internationalen Flugverkehr. In der Stadt wurde ein großes archäologisches Museum errichtet, in dem die herausragenden Stücke der Ausgrabungen präsentiert werden. Dazu zählt auch der „Urfa-Mann“, der 1993 bei Straßenbauarbeiten entdeckt wurde. Die rund 11.000 Jahre alte Statue gilt als die zweitälteste naturalistische lebensgroße menschliche Skulptur.
Die Region, durch die sich der Euphrat zieht, ist nicht nur landschaftlich attraktiv. In Urfa, das in diversen Keilschriftzeugnissen vor 4.000 Jahren erwähnt wird - soll nach islamischer Sichtweise der Prophet Abraham geboren sein. Dort verehren Muslime in der Wallfahrtsstätte die Heilige Quelle in Abrahams Grotte und einen Teich mit den heiligen Karpfen, eine Stelle im Zentrum der Stadt, an der der hinterlistige König Nimrod versucht haben soll, Abraham - im Koran Ibrahim - zu verbrennen. Doch Gott rettete Abraham: Er hatte ihn als Propheten auserkoren. Später soll Abraham in das Heilige Land gegangen sein und dort die monotheistische Religion verkündet haben. In Harran entstand im 8. Jahrhundert die erste Universität der Welt, in der bereits Astronomie, Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften gelehrt wurden; Ruinen der Einrichtung lassen sich besichtigen. Bologna als erste Universität der Welt ist wohl eher eine europäische Sichtweise.
Treffpunkt für Dschihadisten
Die Aufwertung ist auch für die Region aus einem speziellen Grund von Belang. Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges ab 2011 wurde Sanliurfa zum Treffpunkt für Dschihadisten aus aller Welt. Schleuser brachten sie über die Grenze nach Syrien, die nur 50 Kilometer entfernt ist. Inzwischen ist die Grenze schwer bewacht und mit einer Betonmauer versehen.
Im syrischen Gebiet südlich der türkischen Grenze sammelte sich über Jahre die Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS), die schließlich - wohl auch mit ausländischem Support - den syrischen Machthaber Assad stürzte und nun selbst in weiten Teilen Syriens regiert.
Für die globale Gegenwart hält der Aufbruch in der Steinzeit auch noch eine Lehre bereit. Um 8800–7000 vor Christus werden die steinzeitlichen Kultanlagen - in denen nie gewohnt wurde - in der Gegend um Urfa deutlich kleiner. Schließlich werden sie aufgegeben. Ob die Anlagen von den Menschen zugeschüttet oder durch geologische Vorgänge überdeckt wurden, ist noch nicht sicher geklärt.
„Lag es am Klimawandel, dass diese Kultur unterging?“, fragte eine finnische Journalistin in einem Pressegespräch Prof. Necmi Karul. Seine Antwort: „Nein, das können wir nach unseren Forschungen ausschließen. Die Ursache lag in sozialen Spannungen.“