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Lessing-Drama erlebt in Magdeburg bejubelte Premiere / Genaue Dialoge, karge Rollenprofile Ein Nathan mit guten Argumenten

Von Gisela Begrich 08.04.2013, 01:26

Lessings 1779 geschriebener "Nathan der Weise" behandelt eine Fragestellung, die auch heute nicht überholt ist: Wie können Menschen unterschiedlicher Kulturkreise und Religionen friedlich neben- und miteinander leben? Am Freitag erlebte das Stück im Schauspielhaus Magdeburg eine viel bejubelte Premiere.

Magdeburg l Regisseur Herrmann Schein präsentiert einen Zweistundenabend, dessen Konzeption sich konsequent und durchdacht darbietet.

Ein Wellblechzaun, in Graffitimanier besprüht mit Glaubensaussagen der drei monotheistischen Religionen, trennt den Zuschauerraum von der Bühne und lässt sofort an Palästina und Israel denken. Dann gibt die Regie diesen Assoziationsrahmen auf: Die handelnden Personen agieren unter einer Kuppel, die ihnen Weite des Horizonts und des Himmels verwehrt und sie alle (beinahe einengend) umschließt. Am Ende finden sich die Figuren vereinzelt und ratlos vorm Wellblechzaun, vereint mit dem Publikum, sozusagen im Heute wieder, eine überzeugende Klammer.

Den bedrohlichen Background der Geschehnisse, etwa die latente Kriegsgefahr, blendet Regisseur Schein weitgehend aus. In der Schauspielerführung setzt er auf genaue Dialogführung. Wesentliche Kernsätze werden durch chorisches Sprechen herausgehoben. Eine schauspielerische Anreicherung der Charaktere und Szenen geschieht zurückhaltend, daran ändern auch exzessive Ausbrüche nichts.

Diese Kargheit stärkt den Blick auf die Argumente der Figuren, schränkt aber deren Rollenprofil, ihre Motivation, ihren Charme ein. Das gesamte Spielensemble befindet sich ständig auf der Szene - alle sitzen, im Bild gesprochen, in einem Boot.

Die Kostüme muten fast wie Probenkleidung an

Die gediegenen Kostüme (Ausstattung Christiane Hercher) muten fast wie eine ästhetisierte Probenkleidung an und werden durch charakteristische Details wie Kippa und Kreuz ergänzt. Sie entrücken die Geschichte einer bestimmten Zeit und ermöglichen schnelle Rollenwechsel. Ein Tuch anders umgebunden - und aus der Christin Daja wird die Muslima Sittah. Ähnlich einfach verwandelt sich Al-Hafi in den Klosterbruder und Saladin in den Patriarchen.

Diese Doppelbesetzungen sind offensichtlich konzeptionell begründet und für Kenner des Stücks unproblematisch, in der darstellerischen Umsetzung sind sie es nicht. Susanne Krassa erhält wenig Möglichkeiten, Daja von Sittah abzusetzen. In Erinnerung bleibt vor allem der fanatische Hass beider.

Auch Andreas Guglielmetti bleibt in der Gestaltung der beiden Figuren Al-Hafi und Klosterbruder deutlich unter seinen Möglichkeiten. Wirklich kritisch aber erweist sich in diesem Zusammenhang Ralph Martins Patriarch. Jackentausch und Krückstock reichen nicht aus, dessen Gefährlichkeit zu verdeutlichen. Als Saladin dagegen kann Martin punkten. Er zeigt glaubwürdig einen Mann, der des Herrschens wie des Nachdenkens fähig ist.

Im Fadenkreuz der Ereignisse befinden sich Recha und Tempelherr. Ihre Liebe zeigt sich ungestüm und heftig. Die Regie räumt den jungen Leuten nur wenige szenische Ruhepunkte ein. Luise Audersch als Recha befindet sich beinahe durchgängig in Ekstase, ob aus Verzweiflung, Liebesraserei oder Empörung. Leise, zarte Momente flackern nur im Verhältnis zu Nathan auf. Konstantin Marsch gibt den Tempelherrn hitzig und kantig.

Im Zentrum des Spiels steht unausgesetzt Nathan. Vorbei die Zeiten, wo diese Rolle alten Herren vorbehalten war. Sebastian Reck, Ü 40, im Anzug mit offenem Hemdkragen und Kippa, verkörpert einen neuen Typus. Ihm nimmt man ab, dass er durch die Welt reist, Geschäfte macht und dass Daja seine Geliebte ist.

Eine spröde Hauptfigur, die nicht verführt, sondern überzeugt

Reck ist ein spröder, herber Nathan. Ihm fehlt es an Humor und Gewitztheit. Er verführt nicht mit Argumenten. Er überzeugt. Er kennt keine Angst, es sei denn um Recha. Die Beziehungen zwischen den Menschen, die sind ihm wichtig. Folgerichtig hat Reck auch darstellerisch seinen größten Moment nicht mit der Ringparabel, sondern als ihn der Tempelritter enttäuscht. Da offenbart Sebastian Reck eine Einsamkeit und die tiefe Tragik einer Figur, die nicht nur für sich selbst steht, sondern für Generationen.