Atemberaubende Musical-Show "Les Misérables" hat in Magdeburg Premiere Eine Inszenierung für alle Sinne
Wenn Blitz und Donner die Generalprobe stören, wird die Premiere um so grandioser. Für die Open-Air-Musical-Inszenierung- von "Les Misérables" auf Magdeburgs Domplatz traf diese Theorie voll zu. Stehende Ovationen waren der Lohn für eine atemberaubende Musical-Show.
Magdeburg l Die Erwartungshürden lagen in mindestens zweierlei Hinsicht sehr hoch. Zum einen hat sich das Theater Magdeburg mit seinen Musical-Inszenierungen einen beachteten Namen gemacht. Zum anderen ist "Les Misérables" von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg nach dem Romanstoff "Die Elenden" von Victor Hugo das Erfolgsmusical der letzten Jahrzehnte überhaupt. Mehr als 60 Millionen Zuschauer haben es als Film oder Musical in fast allen großen Städten der Welt gesehen.
Sich vor diesem spektakulären Hintergrund an die vermutlich erste Open-Air-Musical-Inszenierung als Stadttheater zu wagen, zeugt von riesigem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Ensembles, von gesundem Selbstbewusstsein und künstlerischem Wagemut, alles auf die Erfolgskarte zu setzen.
Lebendige und realitätsnahe Kulisse
Es ist beeindruckend, wie es gelingt, die großen Stars der Musicalszene, wie Thomas Borchert als Jean Valjean, Bettina Mönch als Fantine, Christina Patten als Eponine, Oliver Arno als Marius oder Marc Lamberty als Enjolras mit den Ensemblemitgliedern des Magdeburger Theaters so zu verschmelzen, dass kein Bruch entsteht.
In dieser Inszenierung spielen und singen die in aller Welt begehrten Topleute auf Augenhöhe mit dem herausragenden Markus Liske, der den sich auf der Jagd nach dem Häftling 24601 befindlichen Polizeiinspektor Javert darstellt, oder mit der so zerbrechlich wirkenden Teresa Sedlmair als Cosette. Ihr kleines Pendant, das sich im Wald fürchtende Mädchen, von den gierigen Pflegeeltern Thénardier gnadenlos verkauft, wird als Kleine Cosette in einer Kinderrolle ungeheuer ergreifend von Helene Günther gesungen.
Sie alle sind von Regisseur Gil Mehmert sozusagen handverlesen. Er lehrt unter anderem als Professor an der Folkwang-Universität der Künste Essen und wusste genau, wem er den Ruf nach Magdeburg sandte. Das gilt auch für die heimischen Ensemblemitglieder, unter denen das Ehepaar Thénardier (Gabriele Stoppel-Bachmann und Peter Wittig) sofort die Herzen des Publikums eroberte. Gabriele Stoppel-Bachmann ist seit mehr als 25 Jahren Chorsopranistin und Peter Wittig kommt vom Schauspiel. Aber beide singen, tanzen und agieren, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes als großes Musical gemacht hätten. Peter Wittig mag körperlich eher klein sein, auf der Bühne gehört er zu den ganz Großen.
Theaterchor wächst über sich hinaus
Die historisch angelegte Handlung beginnt 1815 und findet ihren Höhepunkt in der Niederschlagung des Pariser Juni-Aufstandes 1832. Darin eingebettet sind diverse Handlungsstränge, die aber alle in aus Not und Elend hervorgegangenen Edelmut, Liebe und Schmerz, Tod und blinde Rache, Mut, Treue und den Kampf für ein neues Leben münden. So erscheint dann auch, wohl ein wenig im Überschwang des Pathos, die Liberté des Gemäldes von Delacroix auf einer überdimensionalen französischen Flagge als Umriss vor dem Magdeburger Dom.
Jens Kilian, einst Bühnenbildner bei der DEFA, schuf die in Funktionalität und Ästhetik beeindruckende Kulisse, die sich mit dem Magdeburger Dom zu einem Raum mit scheinbar grenzenloser Tiefe vereinte. Zusammen mit den wohl annähernd 380 Kostümen von Dagmar Morell entstand so ein Gesamtbild voller Lebendigkeit und Realitätsnähe, das über weite Strecken vergessen ließ, dass es sich hier um eine Theateraufführung handelte.
Zu den Superlativen gehört auch der Theaterchor. Unter der Leitung von Martin Wagner spielen die Mitglieder schon seit Jahren eine eigenständige künstlerische Rolle. Bei diesem Musical wächst der Chor wieder über sich selbst hinaus, übernimmt musikalisch und schauspielerisch ganze Szenen und ist maßgeblich an diesem grandiosen Erfolg beteiligt.
"Les Misérables" hat erneut Maßstäbe gesetzt, die nicht nur in der Fachwelt für Aufmerksamkeit sorgen werden. Es ist eine Inszenierung für alle Sinne, die man mit allen Sinnen erlebt haben muss.