Zur Saisoneröffnung der Sonntagsmusik präsentierte Ludger Rémy anonyme Werke aus dem "Schrank II" der Dresdner Hofkapelle Georg Philipp Telemann inkognito in seiner Heimatstadt
Magdeburg l Ist er\'s nun, oder ist er\'s nicht? Nach Telemann ist gefragt. Ein kleiner Krimi oder doch zumindest eine Art leibhaftiges Sonntagsrätsel verbirgt sich hinter der Musik, die gestern zur Saisoneröffnung der Sonntagsmusiken im Gesellschaftshaus beschwingt und gescheit daherkommt. Fünf Concerti für Traversflöte, Violine, Violoncello und Basso continuo haben Ludger Rémy und sein Ensemble "Les amis de Philippe" mitgebracht. Fünf Stücke, deren Verfasser der in Magdeburg geborene und hier erforschte Komponist sein könnte. Doch sicher ist das in diesem Fall nicht.
Gefunden wurde das Notenmaterial, zu dem die Angaben zur Urheberschaft völlig fehlen, vor rund 150 Jahren in Dresden und zwar in einem Fundus, der "Schrank II" genannt wird. Es handelt sich dabei um Repertoire der dortigen Hofkapelle aus dem frühen 18. Jahrhundert, das in den vergangenen Jahren Gegenstand eines hochrangigen Forschungsprojektes war.
Vor allem das Fach 33 gibt den Wissenschaftlern bis heute Rätsel auf. Während nämlich die Fächer 18, 24 und 25 tatsächlich Georg Philipp Telemann zugeordnet werden konnten, die Fächer 5 bis 9 den Zerbster Kapellmeister Johann Friedrich Fasch beherbergten und in den Schubladen 24 und 25 Antonio Vivaldi zuhause war, birgt die Nummer 33 ein Notenkonvolut, dessen Komponist nicht sicher identifiziert werden kann.
Doch das scheint im Verlauf des gestrigen Vormittages zunehmend egal. Denn diese Musik kann sich in jedem Fall hören lassen. Zumal wenn sie so gekonnt interpretiert wird wie von diesem generationenübergreifenden Ensemble. Neben Ludger Rémy, einem der renommiertesten Musiker und Dirigenten der Alten Musik als Kopf der Gruppe und am Cembalo, führt mit Gregor Anthony ebenfalls einer der Altmeister des Genres den Bogen am Violoncello. Beide legen mit ihrer großen Spielfreude und Sachkenntnis einen fundierten Boden, auf dem die Solisten der jüngeren Generation über weite Strecken durch sensibles Zusammenspiel brillieren können: die Leipziger Geigerin und Expertin für mitteldeutsche Musik Eva Salonen und der junge Traversflötist Mathias Kiesling.
Dazu setzen Niklas Trüstedt und Klaus Dieter Voigt mit typischen Instrumenten der Zeit ihre Akzente: mit einem Violone und einer noch seltener zu erlebenden Viola da spalla.
Was aber meinen die Kenner vom Telemann-Forschungszentrums zur Gretchenfrage? "Man müsste das Notenmaterial sehen und durcharbeiten", sagt Leiter Carsten Lange. Einige Passagen allerdings seien Telemann bereits vom bloßen Hören zuzutrauen. In jedem Fall ein lohnendes Forschungsfeld. Ganz unwahrscheinlich ist es indes nicht, dass ein echter Telemann unter den Noten aus Fach 33 dabei ist: Befand sich doch auch der Nachlass des Dresdner Hofkapellmeisters Johann Georg Pisendel in Schrank II. Und der war bekanntermaßen ein Freund Telemanns.