1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Gewebte Schätze

EIL

Ausstellungen Gewebte Schätze

Ausstellungen in Halle und Halberstadt zeigen im „Textilen Herbst“ prächtige Bildteppiche.

Von Grit Warnat 13.10.2016, 01:01

Halberstadt l Der Kunstverein „Talstrasse“ Halle hat für sein Projekt „Textiler Herbst“ mehrere Ausstellungen zu Bildteppichen und deren künstlerischer Tradition in Mitteldeutschland initiiert. Ein Korrespondenzort ist Halberstadt. Im dortigen Domschatz treffen 800 Jahre alte Teppiche auf zeitgenössische Textilkunst.

Allen Schauen ist Jean Lurçat gemein. Der bedeutende französische Bildteppichkünstler (1892–1966) war Inspirationsquell für Kollegen seiner Zeit – auch in Mitteldeutschland. Er begeisterte mit seinen Gobelins auf Ausstellungen zwischen New York, Paris, London und Berlin und beeindruckte Künstler wie Willi Sitte, Inge Götze, Werner und Rosemarie Rataiczyk. Mit Bauhaus und der Burg war Mitteldeutschland ein besonders fruchtbarer Boden für die Kunstwelt des französischen Meisters. Und so griff Sitte, Maler und Burglehrer, die Tradition der Kunstschule Burg Giebichenstein auf und begründete in den 1950er Jahren erneut eine Klasse für Bildteppichgestaltung.

Einen Ausschnitt dessen, was entstanden ist in all den Jahren, holt der Kunstverein „Talstrasse“ in diesem Herbst mit seinem Textil-Projekt aus Sammlungen und aus Privatbesitz. Mehrere Ausstellungen rücken die Farbwelten von Jean Lurçat und seine Beeinflussung der hiesigen Künstlerschaft sowie die Klasse Malerei und Textile Künste der Burg in den Fokus.

Im Halberstädter Dom nun gibt es noch eine ganz andere Sicht: Die romanischen, 800 Jahre alten Bildteppiche des kostbaren Domschatzes treffen auf zeitgenössische Tapisserien aus den Jahren von 1980 bis 2000. Was sie eint, ist der Ort ihrer Entstehung: Mitteldeutschland.

Es gibt keine direkte Nachbarschaft der Arbeiten, räumlich sind sie voneinander getrennt – der schlechteren Lichtverhältnisse und des begrenzten Platzes im Teppichsaal wegen. Und so hängen die großformatigen zeitgenössischen Arbeiten im oberen Kreuzgang von der Decke, unter anderem von Gerlinde Creutzburg, Marianne Ehrler, Inge Götze, Ilse-Maria Krause, Rosemarie und Werner Rataiczyk, Ulrich Reimkasten und der Magdeburgerin Helga Borisch. Es sind prächtige Bildteppiche mit unterschiedlichen Handschriften in Farbgebung und Motiv. Mal Figuren, mal Landschaften, mal abstrakte Struktur.

Borischs „Belebte Natur“ ist zu sehen, 1977 entstanden als Ausschmückung für das Kloster Unser Lieben Frauen, heute im Bestand des Kulturhistorischen Museums, und Rosemarie Hildebrands 1,50 mal 2,60 Meter großer Gobelin „Vögel“ in zarten Farben mit Schmetterlingen und Vögeln zwischen Wiesen, Bäumen und Seen. Von Rosemarie Rataiczyk, die an der Burg studierte und mit ihrem Mann Werner eine Gobelinwerkstatt aufgebaut hatte, ist „Notturno“ gehängt. Die Arbeit von 2003 war ihr letztes textiles Kunstwerk.

Wie ein Spalier leiten die Arbeiten hin zum Domschatz, zum Teppichsaal mit seinen dauerhaft ausgestellten ältesten gewirkten Teppichen der Welt, dem Abraham-Engel-Teppich mit Szenen aus dem Alten Testament und dem Christus-Apos­tel-Teppich, beide entstanden um 1150 und 1170. Sie wurden gefertigt für den Vorgängerdom und seit dem 15. Jahrhundert an hohen Feiertagen genutzt, um das Chorgestühl zu schmücken. Die Arbeiten stammen aus Werkstätten aus der Vorharzregion, deren Künstler einst auch Meister ihres Fachs gewesen sein müssen. Sie schufen Monumentales in den Ausmaßen und Feinheiten in der Verarbeitung. Vieles ist zu entdecken: Ausdrucksvolle Gesichter, jedes spricht mit seinem Blick anders zum Betrachter; ein räumliches Mäandermuster, wie es aus der kunstvollen Buchmalerei jener Zeit bekannt ist, ziert eine Borte.

Der Magdeburger Komponist Thomas König hatte sich vor Jahren inspirieren lassen von diesen gewebten Schätzen und zu den Domfestspielen 2014 seine fünfsätzige Komposition „Paramenta magnifica“ geschaffen. Jetzt begleitet sie den Besucher im abgedunkelten Teppichsaal und verstärkt die Wahrnehmung der 800 Jahre alten Teppiche.

Auf diese neue Wahrnehmung der textilen Tradition im Land setzt der Hallenser Kunstverein. Bis zum 29. Januar ist Zeit, den „Textilen Herbst“ mit seinen verschiedenen Ausstellungen zur gewebten Kunst zu erleben.