Premiere Kabarett ohne Tabus: Magdeburger Zwickmühle lässt keine Zeit zum Luftholen
Mit ihrem neuen Programm „An Mut sparet nicht noch Mühe“ bringt die Magdeburger Zwickmühle politisch-satirisches Kabarett ohne Tabus auf die Bühne. Der Auftakt für die neue Spielzeit begeistert bei der Premiere das Publikum.
Magdeburg - Das neue Duo Hans-Günther Pölitz und Thomas Müller zieht vom ersten Moment an alle Register seines Könnens. Beide Künstler kennen sich schon Jahrzehnte, stehen aber nun zum ersten Mal gemeinsam auf einer Bühne. Ihr Zusammenspiel funktioniert, um es gleich vorweg zu sagen, ohne Fehl und Tadel. Regisseur Michael Rümmler hat die temporeiche Inszenierung klar strukturiert. Sie lebt von überraschenden Effekten und Texten, die das Publikum fordern. Kaum eine Minute bleibt zum Luftholen, Aufmerksamkeit ist angesagt. Die Unterhaltung bleibt deshalb keinesfalls auf der Strecke.
Die klassische Zweierconférence prägt den Abend und geht trotzdem neue Wege. Während Hans-Günther Pölitz er selbst bleibt und auch am Flügel sitzt, schlüpft Thomas Müller in immer neue Rollen, überrascht durch sein komödiantisches Herangehen an die ernsten Themen unserer Zeit. Das Konzept geht auf.
Von Lindenberg bis Faust
Als Udo Lindenberg eröffnet er mit der „Andrea Doria“ das Programm. 50 Jahre nach der Vorstellung des Originaltitels zum Untergang des stolzen italienischen Passagierdampfers ist die Parodie auf den Lindenberg-Song eine Hommage an Onkel Pös Nudelbrett und stimmt auf die folgenden Stunden ein. Pölitz greift gekonnt zu Goethes Klassiker Faust. „Heiße Satiriker, Spötter, Narr, und ziehe schon an die 50 Jahr dem Publikum vor der Nase herum“ lautet dessen Analyse, mit der er auch den Zustand des Kabaretts und seiner Macher einschätzt. Es falle zunehmend schwerer, Mutlosigkeit und Resignation Paroli zu bieten.
Das hat zur Folge, dass dem Publikum Zusammenhänge erklärt werden müssen. Aufgeben ist keine Sache, auch wenn man nichts ändern könne. Sein Wunsch, einen Pakt mit Mephisto zu schließen, schlägt fehl. Stattdessen erscheint mit lautem Getöse Müller als der Alte Fritz auf der Bühne. In gebückter Haltung auf seinen Gehstock gestützt, wird der Preußenkönig aus dem frühen 18. Jahrhundert zum Gesprächspartner, bietet sich zum Vergleich der heutigen mit dessen Politik nahezu an.
Er berichtet von der Aufnahme der Hugenotten zu seiner Zeit. Man teilte damals die Migranten aus Frankreich gerecht im ganzen Lande auf, war ihnen freundlich gesinnt und gab ihnen Arbeit in verschiedenen Zünften, lautet sein Erfolgsrezept. Alte Texte erweisen sich frisch aufpoliert als hilfreich. Und Pölitz berichtet dem König von der heutigen Zeit, von Olaf dem Vergesslichen und den anderen Politikern der Ampel. Annalena Baerbock als „außenpolitischer Unfall“ darf keinesfalls fehlen. Die Bildungsmisere unserer Zeit macht er unter anderem daran fest, dass selbst Goethes „Faust“ vielfach als Pflichtliteratur an Schulen ausgedient habe. Er gilt wohl als überholt und verstaubt.
Texte wie aus einem Guss
Pölitz’ und Müllers Einschätzung heutiger Politik scheint von Resignation geprägt, das treibt sie an. Sie disputieren Tempo 130 im Straßenverkehr, über die Schule und die Umgangsformen dort einschließlich des Lehrermangels. Zeichen für mangelnde Bildung sei es wohl auch, wenn Klimakleber ein Gemälde von Claude Monet im Museum mit Kartoffelpüree bewerfen. Die feingeschliffenen Texte des Buchs von Pölitz gehen eine Symbiose mit denen der anderen Autoren Olaf Kirmes, Thomas Müller, Wolfgang Schaller und Renaldo Tolksdoerfer ein. Das ganze Programm wirkt wie aus einem Guss und ist politische Satire vom Feinsten.
Thomas Müller verwandelt sich weiter in unterschiedliche Figuren. Gibt als Karl Lagerfeld seine Meinung ab, agiert respektlos als André Rieu und doziert über die Politik in Deutschland, wenn er von den nächsten Wahlen und „Nulpen mit viel Tamtam“ singt. Mit Hans-Günther Pölitz gelingt ihm eine politisch-satirische Einschätzung eines scheinbar kaum noch beherrschbaren Deutschlands, in dem beispielsweise Gendern wichtiger erscheint als manch anderes, selbst vernünftige Berufsabschlüsse bei Spitzenpolitikern mitunter fehlen.
Der Brückenschlag zu den Themen findet schließlich seinen Abschluss in der Kinderhymne von Bertolt Brecht „Anmut sparet nicht noch Mühe“, teil im Original, teils der heutigen Zeit angepasst. So wird das Faustische „Verweile doch, du bist so schön“ zum Hoffnungsschimmer, der Bogen schließt sich.