Kultur Im Teufelskreis der Gewalt
Das Drama „Nur ein Augenblick“ feiert in Halberstadt seine Kinopremiere. Die in der Domstadt lebende Randa Chahoud führte Regie.
Volksstimme: Ihr Film thematisiert den Bürgerkrieg in Syrien, ist also keine leicht verdauliche Kost. Was gab nach vielen, teilweise auch sehr lustigen Fernsehproduktionen, die Sie als Regisseurin umgesetzt haben, den Anstoß, dass ausgerechnet dieser schwere Stoff Gegenstand Ihres ersten Kinofilms wird?
Randa Chahoud: Ich beschäftige mich schon seit Jahren immer wieder mit der Frage, wie Gewalt entsteht. Das liegt zum einen daran, dass mein Mann die Gedenkstätte für die Opfer des KZ Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt leitet und daher der Nationalsozialismus oft Thema bei uns ist. Zum anderen liegt es sicher an meinen familiären Wurzeln. Mein Vater ist Syrer, er lebt seit vielen Jahren in Deutschland, obwohl er eigentlich nie seine Heimat verlassen wollte. Politische Diskussionen zwischen meinen Eltern oder auch meinem Vater und dessen Freunden haben meine Kindheit geprägt. Als der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, war mir klar, dass ich einen Film machen wollte, der das Thema aufgreift.
Sie sind nicht nur Regisseurin, sondern haben auch das Drehbuch geschrieben. Ist die Geschichte Ihrer Fantasie entsprungen oder gab es eine Begegnung, die Sie in diese Richtung geführt hat?
Es gab tatsächlich eine Begegnung, die mich nicht mehr losgelassen hat. Ich habe vor acht Jahren in Berlin einen jungen Libyer kennen gelernt, der dort studierte. Als er erfuhr, dass sein Bruder von Gaddafis Armee verhaftet wurde, hat er sein ganzes Leben aufs Spiel gesetzt – seine Beziehung, sein Studium, alles. Er ist als Rebell gegen Gaddafi in den Krieg gezogen.
Im Englischen heißt der Film „The Accidental Rebel“, was bedeutet, Karim sei unbeabsichtigt, versehentlich zum Rebellen geworden. Aber stimmt das? Er hätte Nein sagen können, sich anders entscheiden.
Das hätte er. Der Zuschauer beobachtet ihn, wie er in diese Situation hineinschlittert. Ich finde, mit Abstand ist es immer leicht, zu sagen, was richtig und was falsch ist. Aber wie reagieren wir, wenn ein Mensch, der uns nahesteht, in ernsthafter Gefahr ist? Wir denken hier in Europa immer, dass jemand, der in Syrien in den Krieg zieht, anders ist als wir. Jemand, der eine Waffe in die Hand nimmt. Aber er ist nicht anders. In vielen Fällen ist er genauso wie wir. Ich bin überzeugt, dass wir einander ähnlicher sind, als wir denken.
Sie wollen mit dem Film also zeigen, dass jeder zum Gewalttäter werden kann, wenn sich die Umstände entsprechend entwickeln?
Ich möchte, dass wir uns den Menschen in Syrien oder in anderen Krisengebieten nicht so fern fühlen, dass wir nicht sagen „Die ticken einfach anders als wir.“ Denn das stimmt nicht. Es ist unglaublich schwer, sich richtig zu verhalten, wenn dein Leben auf den Kopf gestellt wird. Die Hauptfigur Karim kommt aus einem offenen, bürgerlichen, gebildeten Elternhaus. Er ist weder ideologisch radikalisiert, noch trägt er Gewalterlebnisse aus der Kindheit mit sich herum, und trotzdem greift er zur Waffe.
Wie authentisch können Sie diesen Film erzählen? Woher wissen Sie, wie es in solchen Rebellengruppen zugeht?
Empathisch und authentisch zu erzählen, ist mir ungeheuer wichtig. Ich habe in Vorbereitung des Films viele Gespräche mit Syrern geführt, einerseits innerhalb der Familie, aber auch mit Oppositionellen, langjährigen politischen Gefangenen, Mitgliedern der syrischen Befreiungsarmee und Anhängern der Assad-Regierung. So konnte ich tief in die Materie eintauchen. Am Set hatten wir einen syrischen Regie-Assistenten aus dem oppositionellen Milieu, der uns beraten hat, und wir haben viele kleine Rollen mit Syrern besetzt.
Stimmt es, dass die Kriegs- und Gefängnisszenen, die ja eigentlich in Syrien spielen, in Sachsen-Anhalt gedreht wurden?
Ja, wir haben große Teile auf dem Truppenübungsplatz bei Altengrabow gedreht. Ich bin dankbar, dass die Bundeswehr das ermöglicht hat. Sie haben gesagt: „Wir unterstützen jeden Film, der zeigt, wie schrecklich Krieg ist.“
Der Film erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, die Angst der handelnden Personen ist in nahezu jeder Szene spürbar. Er wurde erstmals im Rahmen des Filmfestivals Max-Ophüls- Preis in Saarbrücken gezeigt. Wie ist er dort angekommen?
„Nur ein Augenblick“ wurde mit dem Preis der Jugendjury ausgezeichnet und Mehdi Meskar als bester Schauspielnachwuchs geehrt. Nach der Vorstellung kam ein junger Syrer zu mir, der selbst in Syrien in einem Foltergefängnis inhaftiert gewesen war. Er hat sich bedankt und sagte, er sei so erleichtert: Er habe zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder weinen können. Der Film ist sicher nicht leicht anzuschauen, aber ich hoffe, dass die Halberstädter sich von ihm berühren lassen, und wünsche ihm viele Zuschauer.
Im Herbst steht für Sie schon das nächste Highlight an?
Stimmt, denn dann erscheint die Amazon-Serie „Deutschland ’89“, die wir in Berlin und Mitteldeutschland gedreht haben. Die neue Staffel beginnt mit der Öffnung der Berliner Mauer. Im November drehe ich voraussichtlich für die ARD eine neue Serie, sie heißt „Legal Affairs“. Im Mittelpunkt steht eine Medienanwältin, auf deren Tisch Fälle landen, in denen es um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, um Hass im Netz oder Fake News geht.