"Der gute Mensch von Sezuan" am Schauspielhaus Magdeburg Ein lebendiges Stück vom keineswegs gestrigen Brecht
Bertolt Brecht ist inzwischen das, was er nie sein wollte, ein Klassiker. Inszenierungen seiner Dramen, mit Ausnahme der "Dreigroschenoper", kann man aber selten sehen. Offensichtlich halten viele Theatermacher die Machart der Stücke und ihr Anliegen für gestrig. Schauspieldirektor Jan Jochymski bewies am Freitagabend mit "Der gute Mensch von Sezuan" im Schauspielhaus Magdeburg das Gegenteil.
Von Gisela Begrich
Magdeburg. Jochymski und sein Dramaturg Dag Kremser verorten die Handlung in der Zukunft, in eine Zeit, wo Wasser das knappe Gut ist. Peter Scior baute einen weißen Raum, der im Background an einen Himmel stößt, der nach und nach abmontiert wird. Hier agieren die Figuren in stilsicheren, genauen Kostümen von Katherina Kopp.
Die drei Götter, die nach den guten Menschen fahnden, kommen, Skepsis an ihrer Macht ist angesagt, aus einer Bodenklappe, nicht von oben. Sie tragen weiße Gewänder, und so unschuldig-weiß sie die Welt betreten, so unschuldig verlassen sie diese auch wieder. Doch diese Götter entpuppen sich als disponible: Martin Reik (Musikalische Leitung), Raphael Nicholas und Peter Wittig produzieren auch die Musik von Paul Dessau zu den Gesängen. Es sind eben auch nicht mehr die Götter von früher: Nur zum Schauen bestellt; und partiell scheitern auch sie an der problematischen Akustik des Schauspielhauses.
Jan Jochymski setzt auf die Dichtkunst des Autors, befreit vom belehrenden Gestus und die Rollen von einem Schwarz-weiß-Dualismus. Jochymski billigt den Figuren charakterliche Individualität zu. Auch treten die Darsteller aus ihren Rollen nicht aufklärend heraus, sondern mit der Lust des Schauspielers am Spiel mit dem Zuschauer. Das gilt besonders für Jonas Hien als Wasserverkäufer Wang. Er zeigt einen sympathischen Mittler zwischen Göttern und den Menschen auf und vor der Bühne. Silvio Hildebrandt als Herr Shu Fu verpackt den skrupellosen Machtmenschen in komödiantischem Feinschliff.
Katharina Brankatschk als Witwe Die Shin gelingt wie nebenher hohe Erotik, und als es ums Kinderkriegen geht, ist es um ihre Kühle geschehen. Michaela Winterstein als Hausbesitzerin verliert gegenüber dem stellungslosen Flieger völlig ihre Fassung und verkörpert dies so, dass ihr gewagtes Outfit eine Erklärung erfährt. Alexander Absenger als Flieger bedient glaubhaft sowohl den Liebenden als auch den Selbstsüchtigen. Isolde Kühn als Textilhändlerin, Sebastian Reck als Schreiner, Nils Zapfe als Mann, Marlene Meyer- Duncker als Frau und Frank Benz als Neffe vervollständigen diszipliniert und mit angemessenem Komödiantentum die Aufführung.
Ethik gegen Ökonomie
Die Regie sichert ihre Version von einem Brecht, der auch in der Moderne nicht wegrostet, mit ein wenig Comedy ab. Bastian Reiber gibt daher einen mehr als komischen Polizisten. Und hier und da erlaubt sich der eine oder andere Darsteller choreographisch eine Maßeinheit aufgesetzten Spaßes – Verfremdungseffekt 2010?
Lebendigkeit und schöpferische Überzeugungskraft erfährt der Abend aber vor allem durch die brillante Christiane-Britta Boehlke als ShenTe und Shui Ta. Die Prostituierte Shen Te muss, als sie durch den Dank der Götter zur Kleinstunternehmerin aufsteigt, erkennen, dass Gutsein in der Welt, in der sie lebt, zum Ruin führt, und erfindet sich neu als ihr eigner Vetter Shui Ta, der rigoros den Marktgesetzen folgt. Die Boehlke spielt das gekonnt und zwar so, dass ihr zweites Ich ständig vor der Folie ihres wirklichen Ichs agiert. Aus dem sozialen Diktat erwächst so der Gewissenskonflikt und daraus wiederum eine Art moralische Botschaft.
Das ist ein Entwurf zu großer Hoffnung, der aus dem Werk von Brecht per Jochymski zu uns fast überraschend rüberschwappt. Das macht den Abend nachhaltig interessant, weil die Ethik sich gegen die Ökonomie auflehnt, und zwar in einer einzigen Person. Und den zynischen Schluss des Autors ersetzt Jochymski folgerichtig durch die Freude der ShenTe auf ihr Kind.
Künstlerisch ist an diesem Premieren-Freitag die Welt in Ordnung. Theater tut, was Theater tun kann. Der Rest ist göttliche Arbeit. Die Götter entschwanden jedoch per Bodenklappe.