Literatur Nur acht Romane: Nobelpreisträger Kazu Ishiguro ist nun 70
Erinnerungen und Identität prägen das Werk des in Japan geborenen britischen Literatur-Nobelpreisträgers. Warum ihm das Schreiben schwerfällt und was Bücher dem Kino voraushaben.
London - Wenn Kazuo Ishiguro zu Japan befragt wird, dann reagiert er manchmal etwas ungehalten. Der Literatur-Nobelpreisträger, der 1954 in Nagasaki geboren wurde und heute seinen 70. Geburtstag feiert, lebt seit seinem fünften Lebensjahr in England. Das Land seiner Eltern besuchte er erst im Alter von 35 Jahren wieder, er kennt es kaum.
Das hielt ihn aber nicht davon ab, mehrere Romane zu schreiben, die in Japan spielen. Verantwortlich dafür war, wie er immer wieder berichtete, dass er eine klare Vorstellung von Japan in seinem Kopf hatte - die mit der Realität des Landes aber nur wenig zu tun hatte.
Die Themen Erinnerung und Identität ziehen sich durch sein Werk
„Die ursprüngliche Absicht meiner Eltern war, dass wir nach einem Jahr, vielleicht zwei, nach Japan zurückkehren würden. In den ersten elf Jahren in England lebten wir daher in einem ständigen Zustand des "nächstes Jahr gehen wir zurück"“, sagte er bei seiner Nobelpreisvorlesung im Jahr 2017. Die Eltern bereiteten ihren Sohn so gut wie möglich auf ein Leben in Japan vor - das er nie führen sollte.
Irgendwann dämmerte ihm, dass das Japan seiner Kindheit, längst nicht mehr oder überhaupt nur in seiner Fantasie existierte und beschloss: „(...) mein Japan in der Fiktion wiederaufzubauen, es zu sichern, damit ich danach auf ein Buch zeigen und sagen könnte: "Ja, da ist mein Japan drin"“. Die Themen Identität und Erinnerung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk Ishiguros.
Es gibt Dinge, die nur das geschriebene Wort leisten kann
Der große Durchbruch gelang ihm 1989 mit seinem dritten Roman, „The Remains of the Day“ („Was vom Tage übrig blieb“), der in England spielt und der ihm den Booker-Preis, Großbritanniens renommiertesten Buchpreis, einbrachte.
Die Handlung spielt sich hauptsächlich in den Erinnerungen des ins Alter gekommenen englischen Butlers Mr. Stevens ab. Der dient in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen einem Lord Darlington, der sich aus dem wohlgemeinten Wunsch nach Frieden von den Nazis instrumentalisieren lässt. Stevens sucht seine Erfüllung ganz in der perfektionierten Pflichterfüllung und erkennt erst im Rückblick, dass er sich damit selbst die Möglichkeit zum selbstständigen Denken und Fühlen verwehrt hat.
Das Buch wurde 1993 mit Anthony Hopkins und Emma Thompson verfilmt. Ishiguro gehört nicht zu den Autoren, die mit Argusaugen überwachen, ob ihre Erzählung originalgetreu wiedergegeben wird.
Dass die Leinwand Romane irgendwann ganz verdrängt, glaubt er nicht. Film und Literatur seien eher ein Tandem und verstärkten sich gegenseitig. Ohne einen Roman als Vorlage kommen nur wenige Filme aus, Kino-Blockbuster wiederum bringen viele Menschen dazu, zum Buch zu greifen.
Doch es gibt Dinge, die nur das geschriebene Wort leisten kann, glaubt Ishiguro: Dazu gehört das Erzählen in Erinnerungen, die eher in statischen als in bewegten Bildern abgespeichert sind und oft Unschärfen enthalten. „Das Kino ist eher schlecht darin“, sagt er.
Ishiguro fällt das Schreiben schwer
In seinen jüngeren Romanen experimentiert Ishiguro damit, wie moderne Technologie unsere Welt verändern kann. Der dystopische Roman „Never Let Me Go“ (Deutsch: „Alles, was wir geben mussten“) handelt von einer Schülerin an einem Internat, die entdeckt, dass sie und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler Klone sind, die zu dem einzigen Zweck geschaffen wurden, ihre Organe zu spenden.
In Ishiguros jüngstem Roman, „Klara and the Sun“ („Klara und die Sonne“), geht es um den mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten, solarbetriebenen Roboter Klara, der als Gesellschafterin für eine schwer kranke Jugendliche dient und ein emotionales Eigenleben entwickelt. In der ebenfalls dystopischen Zukunft ersetzen Roboter die Beziehungen mit echten Menschen.
Ishiguro ist ein Autor, dem das Schreiben schwerfällt. „Deswegen ist das erst der achte Roman, den ich geschrieben habe“, sagt er in einem Interview zu „Klara and the Sun“, das 2021 erschien. Über den Prozess des Schreibens sagt er: „Es darf nicht einfach nur etwas sein, das die Aufmerksamkeit der Menschen für ein paar Stunden fesselt. Das ist relativ leicht zu bewerkstelligen (...). Aber, ich meine, wie schafft man es, zu bestehen? Wie verfolgt man die Menschen in ihren Gedanken?“ Darum geht es ihm.