Durch seine umstrittenen Benetton-Kampagnen wurde der italienischen Fotograf bekannt / Heute wird Toscani 70 Jahre alt Oliviero Toscani und seine schockierenden Fotomotive
Berlin (dapd) l Es sind aufsehenerregende, oft schockierende Motive, mit denen der italienische Fotograf Oliviero Toscani immer wieder für Aufsehen sorgte. Mit gezielter Provokation hat Toscani, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, die Werbung auf den Kopf gestellt.
Das italienische Bekleidungsunternehmen Luciano Benetton gab dem Fotografen 1984 freie Hand für ein einmaliges Kampagnenkonzept. Toscani entwickelte großformatige Anzeigenmotive, ohne dabei das eigentliche Produkt zu zeigen oder wenigstens zu erwähnen. Stattdessen präsentierte er Bilder, die verstören, erschrecken und keineswegs angenehme Gefühle beim Konsumenten erzeugen.
Er präsentierte in Hochglanzmagazinen und auf Plakatwänden verstümmelte Leichen und einen sterbenden Aids-Kranken - und musste sich den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Leid unschuldiger Menschen Pullover verkaufen zu wollen. Als 1989 das Apartheidsystem in Südafrika zerfiel, fotografierte er eine schwarze Frau, die ein weißes Baby stillt: In den USA wurde das Motiv als rassistisch verurteilt.
Der Bürgermeister von Palermo ließ Plakate, die ein blutverschmiertes Neugeborenes mit Nabelschnur zeigten, wieder entfernen. "In einer Stadt, in der die Mafia täglich Menschen umbringt, stellt das Bild eines Neugeborenen zweifellos eine Provokation dar", kommentierte Toscani süffisant die Säuberungsaktion und hatte damit sein Ziel in jedem Falle erreicht: Aufmerksamkeit erzeugen.
Toscani sieht sich allerdings keineswegs nur als gewieftes PR-Genie, sondern verstand seine Benetton-Kampagnen stets auch als künstlerisches Projekt mit politischem Anspruch. "Ich mache keine Werbung. Ich verkaufe nicht. Ich versuche nicht, das Publikum mit plumpen Tricks zum Kauf zu überreden", schreibt er in seinem Buch "Die Werbung ist ein lächelndes Aas" (1997). "Ich diskutiere mit dem Publikum wie jeder Künstler. Warum sollte es auf einer mit Benetton signierten Werbefläche unzulässig, unerträglich sein?", verteidigte Toscani seine Motive.
In Deutschland führten zwei Anzeigen sogar zu Prozessen, die in den sogenannten Benetton-Urteilen endeten. Das Bild eines an Aids sterbenden Mannes im Kreise seiner Familie und ein nackter Hintern mit dem Stempel "H.I.V. Positive" waren 1994 gerichtlich als sittenwidrige Werbung erklärt worden. Weil jeglicher Bezug zum beworbenen Produkt fehle, würden hier das Leid und die Würde von Menschen zu rein kommerziellen Zwecken missbraucht.
Weitaus folgenreicher für das Modeunternehmen wurde eine Fotoserie mit Porträts von zum Tode verurteilten amerikanischen Häftlingen. In den USA reagierten im Jahr 2000 Befürworter der Todesstrafe mit Boykottaufrufen, was zu einem massiven Umsatzeinbruch und dem Verlust von Hunderten Benetton-Filialen führte. Benetton trennte sich daraufhin von seinem Werbechef.
Oliviero Toscani aber blieb sich treu. 2007 fotografierte er für die italienische Modemarke "No-l-ita" den ausgemergelten Körper des magersüchtigen Models Isabelle Caro, die 2010 infolge ihrer Essstörung starb. Sein vorerst letzter Coup: Kalender für einen toskanischen Lederwarenhersteller mit Genitalien in Großaufnahme. "Man sollte einfach ein bisschen Spaß haben und aufhören, alles zu rationalisieren", erklärte Toscani bei der Vorstellung des neuen Wandkalenders.