Opernpremiere Voller Bild- und Klangpoesie
Mit der Premiere der Oper „Rusalka“ ist das Theater Magdeburg am Sonnabend in seine neue Spielzeit gestartet.
Magdeburg l Drei ebenso liebliche wie spöttische Wasserfrauen umgarnen einen etwas tolpatschigen Herrn mittleren Alters. Wellengekräusel, Mondlicht, das Zittern der Blätter am waldigen Ufer – alles perfekte Illusion von Licht und durchscheinenden Kulissen.
Dies Spiel im Dämmerdunst eines Gewässers kommt dem Opernfreund bekannt vor. Heiterer Auftakt zu einer Tragödie, die im deutschen Ernstfall vier Abende lang dauert, im böhmischen symbolistischen Märchenspiel immerhin auch noch gute drei Stunden. Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat sich die Kulisse für die Magdeburger „Rusalka“ im Meininger Theatermuseum abgeguckt. Der dort ausgestellte Bühnen-Künstler arbeitete auch für Richard Wagner in Bayreuth. Diese Anspielung rückt ins Bild, dass Wagners musikalische Leitmotiv-Idee auch für Dvořáks im Jahr 1900 komponierte Oper noch Gültigkeit hatte. Die Waldgeister, die Hexe, der Wassermann und natürlich Rusalka werden von ihren Motiven begleitet, die der große Sinfoniker Antonin Dvořák jedoch auch in sinfonische Formen einbettet. Den Lebensraum der Elementargeister hüllt er überdies in ein melodiensattes, gleichzeitig impressionistisch farbiges Klangkolorit. In der Welt der Menschen herrschen etwas simplere Lied- und Tanzformen vor.
Pawel Poplawski am Pult der Magdeburgischen Philharmonie fand nach etwas zaghaftem Beginn sehr gut in den Zauber und Duft der Wald- und Wassermusik hinein. Die Bläser und Violinen hatten einen besonders glücklichen Tag, von der Harfe nicht zu reden. Trompetenpiano, präzis hüpfende Flöten, zartestes Streichertremolo – die reine Freude. Sehr gelungen auch das Ausblassen der Farben, der um die Titelfigur herum hörbare Kontrast vom leicht melancholischen Sehnsuchtston des Beginns zur fatalistischen Trauer im letzten Akt. Große Oper gab es auch, vor allem im dramatischen Auftritt der fremden Fürstin.
Regisseur Stephen Lawless hat ein Theater-im-Theater-Spiel inszeniert. Traumbilder und Fantasien, auch Albträume erscheinen als Vorstellungen auf einer Bühne. Zuerst Nymphen und Wassermann als Märchenfiguren, dann der Prinz als edel-ätherische Sehnsuchtsgestalt, später die wirklichen Menschen als zeremoniell gesteuerte Puppen, als abergläubisch dümmliches Dienstpersonal, als böse Fürstin, verwirrt und unstet der wirkliche Prinz. Zuerst schauen die Menschen auf die Elementargeister, dann wechselt die Perspektive. Zwischen den Welten, im Niemandsland die Hexe, die Ježibaba. Was geschehen wird, sie kennt es in- und auswendig.
Rusalka, von Anbeginn an verloren durch ihre unlebbare Liebe zu einem Menschen, kommt zu ihr und verlangt Menschengestalt und eine Seele, um den Prinzen bekommen zu können. Es gibt jedoch keine Hochzeit, stattdessen den tödlichen Liebesverrat. Rusalka kehrt zurück und bittet abermals um Hilfe. Ježibabas Angebot: Ermorde den Prinzen, und du kannst wieder Nixe werden. Rusalka, auch das weiß die Hexe, wird ablehnen. Ausgestoßen von allen Seiten muss sie nun als Irrlicht Menschen in den Tod locken. Als der sehnsuchtskranke Prinz bei Rusalka erscheint, gibt sie auch ihm den eiskalten Todeskuss. Dann nimmt sie den Platz der Hexe ein. Die nächste Nixe wird kommen.
Diese Wendung geht über Jaroslav Kvapils Operndichtung hinaus, trifft aber deren Sinn. Eine christliche Erlösungsapotheose findet nicht statt. Einziger dramaturgischer Wermutstropfen sind die zwar brav übersetzten, dabei aber arg prosaischen Übertitel, in denen der Wassermann unter dem Damm haust und Menschen in Biester verwandelt werden. Hier darf nachgebessert werden.
Undine Dreißig als Hexe. Ganz resignierter Überdruß, so hockt sie unbeweglich vor ihrer eigenen, seit ewig zusammengesunkenen Hochzeitstorte, erfüllt ihre Aufgabe als Verwandlerin der Nixe. Eine letzte Freude ist nur noch das Messerwetzen, bevor sie Rusalka die Nixenhaut abschält. Undine Dreißig singt die wilde Partie eher beherrscht, im Bewusstsein des Unabänderlichen. Rusalka indes will Veränderung, raus aus der ewigen kühl heiteren Gelassenheit. Für den Gewinn einer Seele lässt sie sich – als Opernfigur – ihr Bestes nehmen, die Stimme. Bevor sie aber bei den Menschen schweigt, singt sie das schönste Stück der Oper, das Lied an den Mond. Violinen- und Harfenzartheit und ein naiv raffiniertes Zweistrophenlied, das in seinem Oktavsprung alle Mädchensehnsucht dieser Welt ausdrückt. Raffaela Lintl versucht bewusst, keinen Operngala-Lieblingshappen daraus zu machen. Sie bleibt im Tempo, der Ausdruck ist jugendliche Unschuld. Auch ihre weiteren Arien behalten die lyrische Zurückhaltung und Bezauberungskraft. Eine wunderbare Rusalka, die obendrauf noch als ausdrucksstarke Tänzerin überzeugt.
Der vokal-dramatische Furor bleibt der enttäuschten Fürstin vorbehalten; mit Leidenschaft und Energie gesungen von Izabela Matula. Drei schönstimme Nymphen und die Chordamen unterstützen noch das großartige Ensemble der Frauenstimmen. Für die Männer hat Dvořák ein Kontrastprogramm konzipiert. Der bassgewaltige Wassermann stimmlich überzeugend, figürlich überragend Johannes Stermann, ist der allwissend weise Warner. Der tenorale Prinz hat erst ganz zum Schluss von irgendetwas eine Ahnung. Richard Furman singt ihn betörend, mit metallisch klarer, rein intonierender Tenorstimme. Anfangs selbstbewusst strahlende Unschuld, entwickelt er nicht immer sympathische Züge, kommt spät zur Erkenntnis. Sehr innig, mit leuchtstarker, feiner Kopfstimme dann sein berührendes Todeslied.
Eine wunderbare Aufführung voller Bild- und Klangpoesie. Vor allem für das Orchester eine echte Herausforderung. Im Gesamtkunstwerk Oper ist es in diesem Werk ganz besonders für den Duft und den Glanz zuständig. Am Premierenabend konnte man sich ihm getrost einfach überlassen.
Weitere Aufführungen: 16. September um 19.30 Uhr, 1. Oktober um 16 Uhr und 7. Oktober um 19.30 Uhr.