Liedermacherin Promi-Geburtstag vom 4. November 2017: Bettina Wegner
"Sind so kleine Hände": Wer Bettina Wegner kennt, dem fällt sofort ihr berühmtes Lied ein. Ein Besuch bei der Berliner Liedermacherin, die ein bewegtes Leben hatte - in Ost wie West.
Berlin (dpa) - Wie ihr größter Hit entstand, weiß Bettina Wegner noch genau. Das war 1978. Ein Freund, der ZDF-Journalist Dirk Sager, drehte einen Film über den DDR-Alltag.
Er fragte sie darin, ob sie eines ihrer Lieder singen könne. "Jo, kann ick", sagt Bettina Wegner in die Kamera. Die junge Frau mit den braunen Augen greift zur Gitarre und stimmt an: "Sind so kleine Hände /winz'ge Finger dran / darf man nie drauf schlagen / die zerbrechen dann."
Viele Leute wollten das Lied aus dem Fernsehen kaufen. "Kinder" wurde zur Hymne einer Generation und Bettina Wegner zur wohl wichtigsten deutschen Liedermacherin, eine berlinernde Antwort auf Joan Baez, mit der sie in der Waldbühne sang. Am 4. November wird sie 70 Jahre alt.
Kurz vor ihrem Geburtstag sitzt Wegner, die grauen Haare im Zopf gebunden, im Lesesessel in ihrem Haus an der Berliner Stadtgrenze. Ihr Kater hat sich vor dem Besuch unter das Sofa verkrümelt. Als die Musikerin 1983 aus der DDR in den Westen kam, ging es beim Hauskauf darum, ob auf den stillgelegten Schienen am Grundstück jemals ein Zug fahren würde. Nie wieder, nur, wenn sich die West-Alliierten mit den Russen einigen und die Wiedervereinigung kommt, hieß es da. Damals ein absurder Gedanke. Heute fährt die S-Bahn direkt an ihrem Garten in Frohnau vorbei. "Nun habe ich den Salat", sagt Bettina Wegner verschmitzt. Der Preis des Mauerfalls.
Vom Tourneegeschäft hat sich die Liedermacherin 2007 verabschiedet. Am Singen lag es nicht. Das Geschacher der Veranstalter hat sie genervt. "Es wurde überall gehandelt", sagt Wegner. "Ich hätte einen Zuhälter gebraucht." Ab und zu gibt sie heute noch Konzerte. Langsam ist sie bühnenmüde. Die Augen sind krank. "Ich bin alt!" Bettina Wegner meckert über das Alter, aber sie jammert nicht. Sie ist wie ihre Lieder: warm und unverblümt.
Die große Zeit der deutschen Liedermacher liegt Jahrzehnte zurück. Anders als beim Schlager gab es kein großes Revival. Deutsche Liedermacher kann man nicht ironisch oder bei einer Motto-Party hören. Bettina Wegner hat bei Youtube neue Fans: Sie bekommt "ganz süße" Mails von Teenagern, die ihre Lieder im Netz entdecken. Das macht sie ein bisschen stolz.
Einmal hat die Musikerin in der Kaufhalle (so hießen in der DDR die Supermärkte) gehört, wie jemand "Sind so kleine Hände" pfiff, ohne sie zu sehen. Das fand sie toll. Das Lied entstand im Zug, als sie im Abteil mit einem Mann saß, dessen Unglück im Körper zu sitzen schien und der nervös mit den Fingern trommelte. Wegner dachte an ihre Jungs zuhause. Als sie ausstieg, hatte sie das Lied fertig, eine Ballade über die gewaltfreie Erziehung. Irgendwann hatte Wegner das Lied ziemlich satt. Sie wurde darauf reduziert, wo ihre Texte und Lieder doch viele Platten und Bücher füllten.
Ihr Werk, das sind traurig-melancholische, politische, auch mal spöttische Texte ("Ene mene Mopel") und ein "Heimweh nach Heimat", wie ein Album heißt. "Im Niemandshaus hab ich ein Zimmer", lautet eine ihrer Zeilen. Wenige Musikerinnen verbinden Ost und West so wie sie. Die Dichterin Sarah Kirsch beschrieb sie als eine "leidenschaftliche Person, die nie Erwartungen erfüllt, wenn sie dabei lügen oder weghören müsste".
Wegner hat fast genauso lange in der BRD wie in der DDR gelebt. Im westlichen Lichterfelde geboren, kam sie mit zwei Jahren nach Ost-Berlin, die Eltern waren überzeugte Kommunisten. 1968 wagte sie es, mit Flugblättern gegen die Truppen des Warschauer Paktes in Prag zu protestieren. Sie landete in Haft und vor Gericht, getrennt vom wenige Monate alten Sohn Benjamin, den sie mit dem Dramatiker Thomas Brasch bekommen hatte.
Ein Mitschnitt der Gerichtsverhandlung zeigt den Mut der jungen Frau: "Ich habe es sofort falsch gefunden", sagt sie da zu dem Moment, als sie die Nachricht zu Prag im Radio hörte. Die ungewissen Tage im Gefängnis hat sie nicht vergessen, sie träumt noch davon. "Ich merke, dass es bis heute manchmal die Spinnenbeine nach mir ausstreckt." Auf die Rolle der Zeitzeugin in den Talkshows hat Wegner aber keine Lust, bei ihren alten Kumpels denkt sie da manchmal: ""Bürgerrechtler" - als ob das ein Beruf wäre!"
Wegner flog als junge Frau von der Schauspielschule, später ließ sie sich zur Sängerin ausbilden, wie Nina Hagen. Sie geriet im Spitzelstaat unter Druck, besonders, nachdem sie sich 1976 gegen die Ausbürgerung von Liedermacher Wolf Biermann solidarisiert hatte. Ihr damaliger Mann, der Schriftsteller Klaus Schlesinger, verließ die DDR vor ihr.
Als Wegner "wegen Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen" eine Haftstrafe drohte, war es auch bei ihr soweit. Am Staat hing sie nicht: "Ich wollte '83 nur die Leute aus der DDR mitnehmen." Dem Stasi-Mann, der ihre Spitzel koordinierte, hat sie später verziehen, als der zu ihr kam. "Mit dem bin ich jetzt befreundet." Heimat? Da denkt sie an die Pankower Straße, in der sie als Kind gespielt hat und Rollschuh gelaufen ist. Die Wurzeln seien ihr '83 rausgerissen worden. "Reingekriegt habe ich die bis heute nicht mehr."
Die Linde, die sie in ihrem Garten gepflanzt hat, ist groß geworden, die Ginkgos sind klein. Bettina Wegner sagt, sie habe über alle Themen gesungen, die ihr wichtig gewesen seien. Feiern will sie den 70. Geburtstag nicht, sie lacht. "Ich feiere doch nicht, dass ich Schabracke bin." Ein Geschenk macht sie sich selbst. Die Sängerin bringt ihre gesammelten Werke heraus: 120 Lieder aus 50 Jahren, sechs Stunden Musik, davon einige bisher unveröffentlichte Songs aus DDR-Zeiten. Auf dem Schuber steht der Titel eines ihrer letzten Lieder: "Was ich zu sagen hatte".
Vita auf der Homepage von Bettina Wegner