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Istanbul Renaissance einer Weltstadt

Istanbul und seine Vorgänger zählten über 1.500 Jahre zu den global wichtigsten Städten, bis eine Phase des Niedergangs einsetzte. Als Kulturmetropole soll ein neuer Boom erwachsen.

Von Uwe Kreißig 10.07.2024, 14:20
Die rieisge, scheinbar schwebende Kuppel der Hagia Sophia zählt zu den größten Bauleistungen der Spätantike. Unter dem bemalten Putz der Kuppel vermuten Kunsthistoriker eine  Darstellung des Christus Pantakrator –  Christus als Weltenherrscher. Eine Überprüfung dieser Theorie ist nicht gestattet.
Die rieisge, scheinbar schwebende Kuppel der Hagia Sophia zählt zu den größten Bauleistungen der Spätantike. Unter dem bemalten Putz der Kuppel vermuten Kunsthistoriker eine Darstellung des Christus Pantakrator – Christus als Weltenherrscher. Eine Überprüfung dieser Theorie ist nicht gestattet. Foto: Kreißig

Istanbul/VS. - Die Veränderungen von Istanbul von Mitte der Neunziger in die Gegenwart muss man sehen und erfassen. Die Verarmung der einstigen Weltmetropole, die in ihren Glanzzeiten als Konstantinopel unter Theodosius I. und Justinian die reichste Stadt der Welt war, ließ sich 1995 nicht mehr übersehen. An der Theodosianischen Landmauer hausten Obdachlose in Unterständen, die sie aus herausgebrochenen, antiken Mauersteinen und Folien errichtet hatten. Über die historische Altstadt hatte sich eine Patina gelegt.

Der Niedergang war schleichend gekommen. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches hatte der Kriegsheld und Erneuerer Atatürk Istanbul den Rang der Hauptstadt genommen, weil er den Vertrag von Sèvres von 1920, den die Vertreter des Sultans unterzeichnet und der die Türkei auf Anatolien beschränkt hätte, als Verrat und Feigheit betrachtete. Atatürk besiegte die Griechen und die Westmächte bis 1922, schaffte Sultanat und Kalifat ab und machte Ankara zur Hauptstadt der neuen Republik.

Mit dem türkischen Wirtschaftsaufschwung seit der Jahrtausendwende erholte sich auch Istanbul schnell. Doch die Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren – trotz hoher Inflation und zeitweiliger Wirtschaftskrise – sind atemberaubend. Der Plan der Regierung, Istanbul wieder zur Weltmetropole zwischen Europa und Asien zu machen, ist unübersehbar. Vor allem mit Kultur, Architektur und Kunst sollen Touristen nach Istanbul gezogen werden.

„Istanbul Musik Festival“ in die erste Liga aufgerückt

Heute ist Istanbul wieder eine Weltstadt, in der man sich auch der gemeinsamen Geschichte von Türken, Griechen, Armeniern und Juden besinnt. In die Renaissance der Stadt – die inzwischen 17 Millionen Einwohner hat – werden Geld und Ideen investiert. So ist das „Istanbul Musik Festival“ längst in die erste Liga aufgerückt. Der Charme besteht nicht nur darin, dass man nicht auf die Superstars der Branche setzt, sondern auch an den originellen Spielstätten, darunter Kirchen aller Konfessionen oder die ehemalige Botschaft des Habsburgischen Reiches, die direkt am Bosporus liegt.

Nicht alles ist geglückt. Dazu zählt der Neubau des Kunsthauses „Istanbul Modern“ von „Renzo Piano Workshop“ am neuen „Galata Port“, wo jetzt die Kreuzfahrtschiffe direkt in der Innenstadt anlegen. Die zweite Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee, die aus politischen Gründen erfolgte, führt zur Trennung von Gläubigen und Besuchern, was jene irritiert jene, die es noch anders kennen.

Letztes Gebet in der Hagia Sophia

Doch in dieser Kirche wurde Weltgeschichte geschrieben, und das ist weiter zu spüren. In der letzten Nacht vor der osmanischen Eroberung kam der byzantinische Kaiser Konstantin XI. Drageses mit seinen Gefährten in die Hagia Sophia. Nach dem rund 1.000-jährigen Bestehen Ostroms hielt der Patriarch die Totenmesse des Reiches, wie es Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ beschrieb. Der Kaiser selbst stellte sich am nächsten Tag den Angreifern und starb beim Fall von Konstantinopel am 29. Mai 1453 im Kampf als normaler Soldat.

Bis heute hält sich die Legende, dass die neuartigen Großkaliber-Kanonen, die erforderlich waren, um die Theodosianische Landmauer zu zerschießen, von einem ungarischen Gießer namens Orbán konstruiert wurden.

Sultan Mehmed II., der jedem Plünderer die Todesstrafe androhte, falls er die Hagia Sophia beschädigt, ließ die Kirche umgehend zur Moschee umwidmen und kam wenige Tage nach der Eroberung zum ersten Gebet.

Der Balkon des Großwesirs an einem Haus am ehemaligen Hippodrom in Istanbul.
Der Balkon des Großwesirs an einem Haus am ehemaligen Hippodrom in Istanbul.
Foto: Uwe Kreißig

An einem eher unscheinbaren, aber sehr schön sanierten Haus am heutigen Sultan-Ahmet-Platz, der nahezu deckungsgleich zum antiken Hippodrom in Konstantinopel ist, fällt ein Balkon auf. Von dort nahm der Großwesir des Sultans Paraden der Janitscharen – der militärischen Elitetruppe der Osmanen in der Expansionszeit – ab.

An gleicher Stelle stand zuvor ein kaiserlicher Palast mit einer Loge, aus der der oströmische Kaiser die Wagenrennen auf dem Hippodrom verfolgte. Gegenüber lagen die Zuschauerblöcke der sogenannten Zirkusparteien - „Grünen Partei“ und der „Blauen Partei“ - , die in Chören und mit Spruchbändern politische Forderungen an den Kaiser stellen konnten. Dieser war gut beraten, die Wünsche aus dem Volk zumindest teilweise zu beachten. Tat er es nicht, konnte es auch zu Unruhen oder sogar zum Sturz des Kaisers kommen, wie es in der byzantinischen Geschichte mehrfach geschah.