Mauerfall Sloterdijk: Mauerfall-Zeit war „verwunschene Zeit“
Zum ersten und einzigen Mal habe er das Gefühl gehabt: Die Wirklichkeit sei interessanter als alle Literatur und Kultur.
Berlin - Der Philosoph und Bestsellerautor Peter Sloterdijk (77) hat die Zeit des Mauerfalls als „eine verwunschene Zeit“ erlebt. „Ich habe kaum etwas gelesen, wochenlang gab es für mich keine Filme mehr, kein Theater“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Unter publizistischen Gesichtspunkten war es die glücklichste Phase meines Lebens. Zum ersten Mal und einzigen Mal hatte ich das Gefühl, dass die Wirklichkeit interessanter ist als alle Literatur und Kultur.“
Es sei „eine enorme Zeit“ gewesen, sagte Sloterdijk weiter. „Der Zauber der Aktualität war so stark, dass nichts daneben bestehen konnte. Alle Fernsehkameras der Welt wurden benötigt, um Menschen zu filmen, die sich umarmten, und das an der Grenze zwischen dem einen Deutschland und dem anderen“, sagte Sloterdijk. Niemand habe es wirklich verstanden.
Um Weihnachten herum merkte Sloterdijk: „Es ist vorbei“
Die Berliner Mauer fiel vor 35 Jahren. Am 9. November 1989 gab der Sprecher des Politbüros der SED, Günter Schabowski, am Ende einer Pressekonferenz eher beiläufig das Inkrafttreten einer neuen Reiseregelung für DDR-Bürger bekannt. Kurz darauf geht die Eilmeldung um die Welt: „DDR öffnet Grenzen“ - in den folgenden Stunden strömten Menschen in Scharen an die Grenzübergänge. Menschen lagen sich jubelnd in den Armen, erklommen die Mauer, tanzten am Brandenburger Tor.
„Die Wirklichkeit war viel poetischer als das Fiktive“, sagte Sloterdijk nun. Erst als er in der Weihnachtszeit dann „wieder mal einen "Tatort" oder so“ gesehen habe, habe er gemerkt: „Es ist vorbei“. Er sei danach „nach beiden Seiten enttäuscht“ gewesen: „von mir selbst und von der Geschichte“.